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Auf der Besetzungscouch. Matt Damon und Michael Douglas in „Liberace“.

© Verleih

Steven Soderbergs Film über Liberace: Im Whirlpool der Verführung

Steven Soderbergh inszeniert seinen Film über den Pianisten Liberace. In den Hauptrollen spielen Michael Douglas als alternder schwuler Showstar und Matt Damon als naiver Junge vom Lande, der sich ihm bedingungslos unterwirft.

Liebesgeschichte und Musikerporträt, Biopic und am Rande Reminiszenz an den schwulen Lebensstil vor Aids im wilden, weiten amerikanischen Westen: Das alles ist Steven Soderberghs Film über den Pianisten Liberace, der gerne der „schnellste Klavierspieler der Welt“ genannt wurde und mit seinen Shows Las Vegas prägte. Wobei der Regisseur sich seinem Gegenstand durch eine zweite, eng mit Liberace verbundene Biografie nähert: Scott Thorson, der Tiere für den Einsatz beim Film trainiert und mit Anfang zwanzig noch bei seiner Pflegefamilie lebt, gerät 1977 eines Abends in ein Konzert des Entertainers und verfällt geradewegs diesem Fabelwesen im Paillettenanzug. Umspült von gleißendem Licht, sitzt es an einem weißen Flügel und entlockt ihm Töne in derart rascher Abfolge, dass es Scott schwindlig wird. Dieser Schwindel wird Scott jahrelang nicht mehr verlassen.

Von einem neuen Schwulenbarbekannten hinter die Bühne geführt, begegnet der naiv, verloren und zutraulich wirkende Knabe vom Land dem Showprofi. Liebenswürdig und launig plaudernd hält der nach seinem Auftritt Hof, scheinbar ohne Allüren integriert er Scott in den Kreis seiner Bewunderer. Zu diesem Kreis gehört ein eben noch auf der Bühne als Protégé vorgestellter, in eine Fantasieuniform gekleideter und nicht mehr ganz junger Mann, dem nicht zu gefallen scheint, was sich gerade anbahnt.

Geblendet vom Glanz

Doch das merkt Scott nicht – und als er wenig später auf Liberaces gigantischem Anwesen in Hollywood eintrifft, wird er von dem Glanz, den der Pianist um sich entfaltet, buchstäblich geblendet. Und schon sitzt er neben dem wesentlich Älteren im Whirlpool, ein Glas Champagner in der Hand.

So beginnt eine Liebesbeziehung, die über fünf Jahre dauern wird und in der Lee dem Waisenjungen Scott alles sein will, wie er einmal sagt: Vater, Bruder, Liebhaber, bester Freund, ja, er will ihn sogar adoptieren. Tatsächlich braucht es trotz des Altersunterschieds von rund 35 Jahren nicht viel, um Scott zu verführen. Zu verlockend für den in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsenen, ungebildeten Jungen ist das Versprechen auf Familie und Nestwärme. Zu verlockend auch die Aussicht auf einen Lebensstil, den er sich nie hätte träumen lassen. Und seine Rolle als neuer Protégé des Prominenten schließt bald sogar die Partizipation an dessen Berühmtheit mit ein.

Matt Damon gibt diesen Scott mit kongenial schlichter Unbeholfenheit und argloser Freundlichkeit, wirkt allerdings von der Maske mitunter zu sehr geglättet und ausgepolstert. In krassem Gegensatz dazu stehen Extravaganz, Grandeur und entwaffnende Offenheit, mit der Michael Douglas als Lee Liberace auftritt. Der inzwischen fast Siebzigjährige, der hier nach seiner Kehlkopfkrebserkrankung im Jahr 2010 erstmals wieder vor der Kamera steht, liefert als Liberace eine schauspielerische Meisterleistung ab, mit der er locker – nach „Wall Street“ (1987) – seinen zweiten Oscar als bester Hauptdarsteller gewinnen könnte. Gerade weil Douglas, mit dem Rollentyp des Bankerzockers Gordon Gekko nahezu verwachsen und auf virile, heterosexuelle Alphamänner abonniert, in „Liberace“ fesselnd vorführt, wie sehr er gänzlich anderen Herausforderungen gewachsen ist.

Kaschierte soziale Ängstlichkeit

Hinter der Glitzerfassade ist dieser Liberace ebenso wenig weltläufig wie Scott; nur kann er seine soziale Ängstlichkeit besser durch sein glamouröses Auftreten kaschieren. Soderbergh inszeniert den Schutzwall, den Liberace um sich konstruiert, räumlich, psychologisch und sozial – einen Wall aus materiellen Gütern, bombastischen Selbstinszenierungen und einem Stamm von nibelungentreuem, hoch bezahltem Personal. So tritt er mit der wirklichen Welt kaum in Kontakt. Sogar seine Homosexualität bleibt, wie er meint, hinter dieser Konstruktion für sein Publikum unsichtbar.

Der eminent produktive Steven Soderbergh, der derzeit so unablässig seinen Ausstieg aus dem Filmemachen verkündet, dass man ihm immer weniger glauben mag, hat „Liberace“ (der Originaltitel lautet „Behind the Candelabra“) für den Fernsehsender HBO inszeniert, wobei sich die Bilderpracht elegant auf die große Leinwand überträgt. Die Geschichte selber erzählt Soderbergh gleichzeitig als universales Liebesdrama, als Exerzitium einer Macht, die ihr Opfer buchstäblich verformt, und als Versteckspiel mit ernstem gesellschaftlichem Hintergrund. Die Love Story funktioniert dabei als schöner Köder, von der ersten Faszination über die Gewöhnung, das gemeinsame Sichgehenlassen und die sich einschleichende Unachtsamkeit bis zu den Spätstadien: hier ein Projekt, das der Beziehung zu neuen Inhalten verhelfen soll, dort der Versuch, das brachliegende Sexleben neu anzukurbeln, schließlich die Fluchten, das Jammern des zurückbleibenden Partners, die Trennung. Angesichts von Liberaces Wohlstand wächst sich das zu einem von Juristen geführten Kampf um materielle Abfindung aus.

Diese Liebe aber ist zugleich ein Prozess immer entfesselteren Missbrauchs. Ein Mann Ende fünfzig kauft sich einen Jungen und benutzt ihn, bis er seinen Zweck nicht mehr erfüllt und abgeschafft wird. Es geht nicht nur um Sex dabei, sondern um die Verwandlung einer – vielleicht nicht besonders ausgeprägten – Persönlichkeit nach dem Bild und Willen des Verführers. Lee überredet Scott mit der Hilfe eines willfährigen Schönheitschirurgen, sich seine Gesichtskonturen so verändern zu lassen, dass sie seinen eigenen in jüngeren Jahren ähneln. Die Nachwirkungen der schmerzhaften Operation treiben Scott in die Medikamenten- und bald in die Drogensucht. Seine Anstrengungen, ein Mindestmaß an Unabhängigkeit zu bewahren, werden im Keim erstickt. Der Musiker erträgt niemanden in seiner Nähe, der ihm nicht absolut hörig ist. Und eines Abends sitzt Scott verdrossen hinter der Bühne und beobachtet, wie Liberace sich von einem neuen Protégé huldigen lässt. Der ist jünger und gesünder als er selbst und hat – viel wichtiger – noch Illusionen.

Erzählung vom Leben in der Illusion

So bitter diese Erzählung vom Leben in der Illusion sich liest, so süßstoffreich ist sie angerichtet, in der Disco-Ästhetik der 1970er und 80er Jahre. Kostüme, Bauten und Ausstattung überwältigen in ihrem Protz, die Figur-Grund-Unterscheidung scheint mitunter zu verschwimmen. Und wenn unter Liberaces seidengefüttertem Chinchilla-Umhang ein paillettenbesetzter Smoking zum Vorschein kommt, der mit dem weiß lackierten Klavier um die Wette glitzert, dann ist das, als äße man Schlagsahne zu Schwarzwälder Kirschtorte und tränke dazu Schokolade.

All die gleißenden Oberflächen aber deuten nur umso schärfer auf ein schwules Leben, das damals im Verborgenen geführt werden musste. Mehrfach prozessierte der reale Liberace hartnäckig gegen Zeitungen, die auf seine Homosexualität angespielt hatten, dabei scherzte er doch auf der Bühne gern so kennerisch über und mit Frauen. Der reale Scott Thorson wurde mit viel Geld abgefunden, und Lee Liberace behauptete trotz Thorsons Schritt in die Öffentlichkeit weiterhin, er sei nicht homosexuell und habe den Jungen nur als Chauffeur beschäftigt. „Too much of a good thing is wonderful“, sagt Liberace, kurz bevor er über eine Musicalshowtreppe in den Himmel aufsteigt. So jedenfalls imaginiert es Scott in Soderberghs blendender, funkelnder Huldigung. Tatsächlich starb Lee Liberace 1987, mit 67 Jahren, an den Folgen von Aids.

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