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Kultur: Immer wieder sonntags: Tragetaschen loben

Manchmal muss man die Stadt verlassen, um ein Stück weiterzukommen. Es passierte vor einigen Jahren in Savannah, Georgia, auf dem Parkplatz eines Krankenhauses.

Manchmal muss man die Stadt verlassen, um ein Stück weiterzukommen. Es passierte vor einigen Jahren in Savannah, Georgia, auf dem Parkplatz eines Krankenhauses. Ich ging gedankenverloren Richtung Haupteingang, als mir eine Frau eiligen Schrittes entgegenkam. Ohne ihren Schritt zu verlangsamen, rief die Unbekannte mir zu: "I love your T-Shirt." Mein leicht verdattertes "Thank you" trug ihr der Wind hinterher.

Irgendwie hat diese Begegnung einen ansonsten trüben Tag aufgeleuchtet. Das flüchtige Kompliment einer Fremden für ein T-Shirt mit einem etwas albernen Bild drauf mag nicht weiter wichtig sein. Aber die Haltung, die dahinter steckt, ist es. Auch Fremde nehmen einander wahr, reden miteinander. Mir ist das in Amerika häufiger passiert, dass völlig Unbekannte mich auf irgendetwas Unwichtiges angesprochen haben, und es hat mir jedes Mal gefallen. Klar, jeder möchte gern wahrgenommen werden, und Aufmunterung kann man immer gebrauchen, nicht nur auf dem Parkplatz eines Krankenhauses. Es ist so einfach und so preiswert, ein Geben und ein Nehmen, und es hellt erst die Stimmung eines Einzelnen auf, dann die einer ganzen Gesellschaft. Man entwickelt viel weniger Aggressionen, wenn man so auf andere zugeht.

In den USA habe ich das ein bisschen geübt: Was für ein lustiges Auto Sie haben! So eine hübsche Tragetasche! Ihr Garten ist eine Augenweide! Sicher mag das manchmal oberflächlich klingen, wie blöder Small Talk, warum soll man darum Worte machen, wenn man auch schweigen könnte? Ganz einfach: Weil man Zuneigung entwickelt, wenn man miteinander redet, wenn man mit einem inneren Lächeln durch die Welt geht. Und weil man das Eis bricht, das zwischen Schweigenden leicht immer dicker wird, weil niemand weiß, woran er ist.

Berlin in den Hochzeiten der Grummeligkeit (die sind durch viele nette Zuwanderer aus heitereren Teilen des Landes inzwischen glücklicherweise ein bisschen passé) war eine Stadt, in der man seine Aggressionen pflegen konnte wie eine Bulldogge. Oh, wie oft bin ich nach einer mir wie ein Knochen hingeworfenen Rüpeligkeit zähneknirschend und -fletschend durch die Gegend getigert, bis ich eine Gelegenheit fand, ein bisschen zu rempeln; aber auch das brachte meist nur sehr flüchtige Erleichterung.

Der amerikanische Trick funktioniert viel besser. Okay, diese Art der Kommunikation unter Fremden, entwickelt wahrscheinlich im Wilden Westen, ist kein fester Bestandteil unserer Kultur. Wenn man von sich aus Unbekannten etwas Freundliches sagt, wird man leicht auf Misstrauen stoßen: "Wohl nicht ganz dicht inner Birne, wa?" Wahlweise bekommt man Rechtfertigungen zu hören, weil Freundlichkeiten leicht wie Anklagen aufgenommen werden.

Die Bemerkung "schicker Pulli" wird auch unter Freunden eher mit einem "War ganz billig" quittiert als mit einem schlichten "Danke", weil die reine Freundlichkeit hierzulande immer Verdächtiges, etwas Skepsis Erregendes hat. Trotzdem. Irgendwann muss man mal anfangen mit Dingen, die das Leben unaufwendig schöner machen. Warum nicht heute?

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