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Kultur: Immer wieder sonntags: Weihnachtsbäume besuchen

So schöne Weihnachtsbäume wie dieses Jahr gab es, glaube ich, selten. Oder sie sind mir nie so aufgefallen.

So schöne Weihnachtsbäume wie dieses Jahr gab es, glaube ich, selten. Oder sie sind mir nie so aufgefallen. Überall in der Stadt blinken sie um die Wette, mit dicken goldenen Kugeln und Christ-Sternen geschmückt, protzen sie in den Potsdamer Platz Arkaden, sogar vor dem Bahnhof Zoo leuchtet es alle-Jahre-wiederlich auf Dealer und Stricher herab. Meine Favoriten aber kann man zum Preis eines studentischen Gebrauchtwagens auch kaufen. Sie stehen im Parkhausübergang zum KadeWe und tragen Namen wie Maskerade, Rokoko oder Pink Poodle. Letzterer führt meine persönliche Hitliste an.

Nicht weil ich Pudel mag, im Gegenteil, sie erinnern mit wahlweise an zickige Tanten, die ihre weißen Haare blau färben, oder an Mephisto. Und was schließlich hat ausgerechnet der Geist, der stets verneint, am Weihnachtsbaum zu suchen, und sei es auch in noch so rosiger Vepackung? Es ist die schaurige Faszination dessen, was geschmacklich alles möglich ist und dabei trotzdem lustig aussieht, die mich immer wieder hingucken lässt; allein die Idee...

Manchmal stelle ich mir auch vor, wo das Modell Rokoko einst landen mag. Wahrscheinlich wird es irgendwann von einer weißen Stretchlimousine abgeholt, um einer sehr schönen und sehr traurigen Dame in Dahlem ihren weißgetünchten Bungalow noch melancholischer zu gestalten, weil Weihnachtsbäume, wenn sie nicht in Gesellschaft genossen werden, Einsamkeit immer noch ein bisschen verdichten. Bis irgendwann so ein Karl-Lagerfeld-Typ, aber von der Art, die auf Frauen steht, beim Vorbeireiten durchs Fenster guckt, sich von dem hübschen Rokoko-Baum stoppen lässt und die schöne, traurige Frau von ihrer Einsamkeit erlöst. Oder so ähnlich.

Jedenfalls ist es allerhöchste Zeit, sich rechtzeitig vor Weihnachten noch mal ein paar Bäume im Urzustand anzuschauen. Das kann man schnell haben, indem man eine kleine unkomplizierte Runde durch die nächste Weihnachtsbaumverkaufsstelle zieht. Man kann es auch etwas aufwändiger haben, indem man weit hinaus fährt in einen richtigen Wald.

Nackte Weihnachtsbäume haben immer etwas Geheimnisvolles, so ein Naturversprechen und gleichzeitig ein Was-man-daraus-alles-machen-könnte. Welche grandiosen Christbaum-Design-Entwürfe ließen sich an diesen Adventssonntagen fertigen, superkitschige, künstlerisch wertvolle oder völlig verrückte, und am Ende steht man mit dem seltsamsten Weihnachtsbaum aller Zeiten da, einem bezweigten, umgestülpten Ich. Warum gibt es eigentlich keinen entsprechenden Wettbewerb? Wäre es nicht höchste Zeit, mehr spielerische Elemente ins ernste Ritual hineinzubringen? Es wird am Ende alles in einem Weihnachtsbaum-Museum enden. Wer auch immer meine Lieblinge aus dem KaDeWe am Ende davonträgt, braucht nämlich nicht zu fürchten, dass sie pünktlich am 6. Januar heftigst zu nadeln anfangen. Sie sind ein reines Kunstprodukt. Haltbar bis ins nächste Rokoko hinein.

Die Bäume da draußen im Wald hingegen, die Sie vielleicht, weil heute Sonntag ist, noch besuchen werden, sind anders. Ihre Schönheit kommt ganz allein von innen. Direkt aus dem Auge des Betrachters.

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