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Kultur: In den Süden

Episodenfilm (I): Nicolai Albrechts „Mitfahrer“ spielt mit Zufällen auf deutschen Autobahnen

Die Autobahn von Berlin nach München in der Nacht. Es schneit und schneit, und auf einmal – es hat sich wohl ein Unfall ereignet weiter hinten – sind der Fahrer und seine Passagierin auf der nächtlichen Piste ganz allein. Da fängt sie zu sprechen an: von ihrem Freund in München und dass es nicht mehr so gut geht zusammen seit einiger Zeit. Und plötzlich: Ob er, der Mitfahrgelegenheitsfahrer, mit ihr nicht einfach weiter wolle, jetzt gleich, weiter nach Italien. Da ist er mit der fremden Frau nach Florenz durchgefahren – durch die Nacht, durch den Schnee, in den nächsten Tag hinein.

Der Anfang einer Liebesgeschichte: Regisseur Nicolai Albrecht will sie selbst erlebt haben, er gibt sie im Presseheft zum Besten, aber in seinem Film „Mitfahrer“ hat er sie nicht erzählt. Vielleicht, weil man die schönsten Geschichten sowieso lieber lesen soll? Stattdessen hat er drei Episoden von drei Drehbuchautoren (Khyana el Bitar, Dagmar Gabler und Robert Löhr) aufwändig miteinander verwoben und sie nicht im Nachtschnee, sondern an einem heißen Sommerabend spielen lassen – auf der Autobahn nach Berlin und ein paar Tage später zurück. Liebesgeschichten fangen darin auch an, halbe, viertel, achtel Liebesgeschichten. Nur zum Träumen verführen sie nicht.

Zum Beispiel Peter (Ulrich Matthes): Jahrein, jahraus fährt er Bademoden quer durch Deutschland, ein Vertreter der seltsam fürsorglichen Sorte, der hübschen jungen Mädchen wie Carolin (Anna Brüggemann) Bikinis aus dem Kofferraum kredenzt, aber auch verwirrte Greisinnen von der Fahrbahn rettet und sanft abliefert bei der Polizei. Oder Katharina (Jana Thies): Bei der Schauspielschule will sie vorsprechen in Berlin, und plötzlich eignet sich der nervige Pickeljüngling auf dem Beifahrersitz (Michael Wiesner) durchaus dazu, ihr beim Lernen des Texts aus Sartres „Geschlossener Gesellschaft“ zu helfen. Und hinten in den Autos sitzen Leute wie der schwarze Hilal (Michael Ojake), der der Zweckhochzeit mit einer Deutschen entgegenfährt; oder Sylvester (Ivan Shvedoff), Schmuckhändler in Geldnöten, und ein Termin in Berlin soll ihn aus dem Gröbsten befreien.

Geschlossene Gesellschaften. Zufallsdreiecke zwischen Menschen. Und die Autos Käfige, in denen man mehr oder minder Haltung bewahrt. Drei Episoden – irgendwann steigt Sylvester zu einer verkrachten Mutti mit Tochter um – entwickelt Albrecht in seinem Abschlussfilm an der Berliner DFFB, und wohl weil er sie so schön findet, lässt er sie in Berlin nicht enden; sondern würfelt nochmal, schickt seine Protagonisten in neuer Konfiguration wieder hinaus ins Weite. Die Mitfahrzentrale, der Zuweisungsapparat, macht’s möglich.

Eher Skizzen als Geschichten versammelt „Mitfahrer“, das liegt in der Natur des Themas, und will jenen seltsamen Urgrund menschlicher Nähe ausloten, die aus einem Nichts entstehen und in diesem Nichts gleich wieder verschwinden kann. Ein lästiges Nebeneinanderher, das unvermutet einen Augenblick der Wahrheit gebiert. Ein Füreinander-Interessiertsein, das plötzlich ins Leere stiert. Eine markerschütternde Einsamkeit, die sich – von „Kein Thema!“ zu „Kein Thema!“ – mitten im Geschwätz offenbart. Das ist fein beobachtet, und doch: Irgendwann bringt das Kombi-Drehbuch auch den schönsten Zufall zur Strecke.

Weniger Verstrickungen, weniger Macht des Schicksals auch: Das wäre alles gewesen. Oder stattdessen die eine, kleine Geschichte: nachts von Berlin in den kalten Süden mir nichts, dir nichts mit einer Fremden. Und: Aufhören mit dem Erzählen, bevor’s am schönsten ist.

Moviemento

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