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Kultur: In der Arche ist für alle Platz

Am 12. Juni erschien in dieser Zeitung ein Bericht über Spannungen zwischen den Literatureinrichtungen Berlins, die durch die unmittelbare zeitliche Nachbarschaft zweier geplanter Großveranstaltungen offengelegt worden sind.

Am 12. Juni erschien in dieser Zeitung ein Bericht über Spannungen zwischen den Literatureinrichtungen Berlins, die durch die unmittelbare zeitliche Nachbarschaft zweier geplanter Großveranstaltungen offengelegt worden sind. Ulrich Schreiber organisiert ein zehntägiges Internationales Literaturfestival, Thomas Wohlfahrt den Literatur Express Europa 2000, der von Lissabon aus Kurs auf Berlin nimmt. Im folgenden meldet sich der Leiter des Literaturhauses in der Fasanenstraße, Herbert Wiesner, zu Wort.

Der Tagesspiegel macht sich Sorgen um die Literatur im Jahre 2000 in Berlin und darum, wer dort die Hosen anhat oder herunterläßt. Es knirsche und knacke im Literaturbetrieb, Gregor Dotzauer fügt fürsorglich ein "leider" hinzu und ruft nach vermittelnder Klärung durch den Kultursenat, der doch bis über die Ohren in der selbstgemachten Krise um die Intendantennachfolge am Deutschen Theater steckt.

Was ist eigentlich zu befürchten, ein Zuviel an Literatur etwa im Sommer 2000 oder die Konkurrenz zweier in Berlin nicht unbekannter Herren mit gesundem Verhältnis zum Ehrgeiz? Der Direktor (wir nennen das Leiter) der literaturWERKstatt will grünes Licht und Priorität für 120 zugreisende europäische Schriftsteller, der Vorsitzende der Peter-Weiss-Stiftung und Organisator einer großen Thomas-Bernhard-Tagung (kein Außenseiter also) möchte die 30 "besten Schriftsteller der Welt" einfliegen und in einer Art Arche Noah auf der Spree zur Lesung bitten. Beide Vorhaben werden als Events bzw. als Festivals angekündigt und sollen innerhalb von drei bis vier Wochen stattfinden. Da bisher niemand aufrechnet, wieviel Opern im Jahre 2000 inszeniert, wieviel teure Kunstausstellungen gezeigt oder Großkonzerte veranstaltet werden, sollte man den literarischen Events nachsehen, daß sie wenigstens in diesem einen Jahr mal aus dem chronischen Finanzschatten heraustreten. Aber was heißt schon Mammutunternehmen? Die kontinuierliche Arbeit aller Berliner Literaturinstitutionen ist für die Literaturfreunde in der Stadt, für die Autoren und Verlage, für die Förderung der Literatur und des literarischen Bewußtseins unendlich viel wichtiger als die zwei angekündigten Events, um die sich Berlin keine ernsthaften Sorgen machen muß. Im Zweifelsfall haben die Berliner immer schon größere Zwerge gesehen, und die Sponsoren sollten sich einen Ruck geben, beide Ereignisse zu fördern. Wenn es der Sache hilft, wird sich für beide Projekte auch noch ein gemeinsamer Nenner finden lassen.

Wir im Literaturhaus Berlin machen derweil unsere Arbeit und stellen eine Ausstellung über Vladimir Nabokovs Berliner Jahre in den Dienst des Internationalen Literaturfestivals. Die Finanzierung dieser Ausstellung, die wir mit Dieter E. Zimmer planen, ist noch nicht gesichert. Aus den Töpfen des Literaturfestivals wird sie jedenfalls nicht bezahlt, doch wir wollen die Ausstellung ohnehin machen, mit dem Festival oder ohne. Auf jeden Zug springen wir nicht auf, und "leider" haben wir auf Dauer auch nicht die Zeit, unser Ohr allen Aufgeregtheiten des Ehrgeizes zu leihen.

HERBERT WIESNER

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