zum Hauptinhalt

In der guten Stube: Salonkultur wird Trend in Berlin

Die Salonkultur expandiert: Wohnungen werden zur Bühne für Kochshows und Konzerte. Der Rückzug ins Private ist keiner in die Einsamkeit. Im Gegenteil.

In Clubs ist der Großstädter allen Nuancen des menschlichen Schweißes ausgesetzt. In seinem Wohnzimmer lernt er, dass Wein nach Pferdeschweiß riechen kann. Elf Leute um die Dreißig sitzen um einen Tisch in einer Kreuzberger Wohnung, lassen kleine Fläschchen kreisen, in denen verschiedene Weinduftnoten konserviert sind. Sie sollen die Anfängernasen sensibilisieren. "Wusstet ihr, dass es auch die Geruchsrichtung Pferdeschweiß gibt?", fragt plötzlich einer in die schnuppernde Stille hinein. Dann schenkt der Gastgeber den ersten Wein des Abends ein, ein Barbeda von 2005. Zum Glück riecht er nach Vanille.

Vor über einem Jahr haben Florian Wichelmann und Christian Blum ihr Weinseminar gegründet, alle paar Monate entdecken sie mit Freunden die Welt des Weins. Per E-Mail kommt die Einladung im Bekanntenkreis in Umlauf. Fünfzig Leute sind im Verteiler, Politologen, Juristen, Unternehmensberater, Architekten, Berufsanfänger. Meist bringt jemand noch ein unbekanntes Gesicht mit. Dieses Mal ist es der mit der Pferdeschweiß-Bemerkung. Die Treffen finden bei wechselnden Gastgebern statt, aber immer zu Hause in der eigenen Küche oder dem Wohnzimmer. "Da hast du deine Ruhe und kannst dein eigenes Ding machen", sagt Florian Wichelmann.

Der Preis steigt, je später der Abend

Er ist nicht der einzige, der das so sieht in dieser Stadt. Viele laden Freunde und Bekannte lieber zu sich nach Hause ein, um gemeinsam Kunst und Kultur zu erleben, als sich an einem öffentlichen Ort wie Galerien, Museen oder Musikkneipen zu treffen, von denen Berlin so viele zu bieten hätte. Burgy Zapps Künstlersalon ist inzwischen so beliebt geworden, dass 400 Leute an einem Abend in seiner Wohnung im Prenzlauer Berg ein und aus gehen. Auch er verschickt Einladungen per Mail, jeder Gast darf nur einen "Nicht-Kreativen" mitbringen. Schließlich gehe es darum, sich über Kunst zu unterhalten, sagt er. Die komplette Wohnung hängt bis unter die Decke mit Bildern von befreundeten Künstlern voll. So groß sein Salon inzwischen geworden ist, so streng führt der 30-jährige Regiment. Es gibt einen Türsteher, der auf den Dresscode achtet. Entweder elegante Abendgarderobe oder Verkleidung, keine Jeans. Seit zweieinhalb Jahren veranstaltet Zapp den Salon. 10.000 Euro habe er schon hineingesteckt für das Büfett, zerbrochene Gläser, Veranstaltungstechnik. Jedes Mal räumt er sechs Stunden lang auf, bis er Küche und Bad wieder benutzen kann. Der Austausch über die Kunst ist ihm alle Mühen wert.

"Jetzt kommt die Nebbiolo-Traube", kündigt Florian Wichelmann an. Die Weinfreunde in Kreuzberg sind inzwischen beim dritten Wein angelangt. Einige haben schon aufgegeben, ihre Eindrücke auf die bereit gelegten Fragebögen einzutragen. Optik? Geruch? Geschmack? Egal. Abgesehen vom Preis für eine Flasche. Der steigt, je später der Abend. In der Tradition der Salonkultur sieht sich die inzwischen leicht angeheiterte Runde nicht. Der Gastgeber wundert sich selbst darüber, dass die Idee nicht längst im Sande verlaufen ist. "Das Weinseminar hilft soziale Kontakte zu pflegen", vermutet Wichelmann. Denn das Unileben ist passé und für Vereine keine Zeit mehr. Auf Facebook und StudiVZ suchen User tagtäglich unter Millionen von registierten Teilnehmern bekannte Gesichter, mit denen sie sich virtuell verbandeln können. Und in Berlin gründet man Privatzirkel, in denen über Wein diskutiert wird. Der Rückzug ins Private ist keiner in die Einsamkeit. Im Gegenteil.

Welcher Wein schmeckt denn nun am besten?

Ein Künstlertreff, der sich auf die Traditionen der Salonkultur des 18. Jahrhunderts beruft, und eine kleine Gruppe aufstrebender Weinlieber machen gewiss noch kein Phänomen aus. Tatsächlich muss mehr dahinterstecken, sonst hätte sich Elena Brückner das nicht zum Beruf gewählt. Sie organisiert Pop-Konzerte in Privatwohnungen. Theoretisch sind die sogar öffentlich. Die Bookerin kündigt das Konzert in den Zeitungen an - wenn nicht schon alle Plätze über Mundpropaganda im Bekanntenkreis vorab ausverkauft sind. Besucher zahlen elf Euro Eintritt, der Gastgeber nichts. Im Programm hat Elena Brückner internationale Künstler aus der Singer-Songwriter-Szene. "Diese Abende sind sehr persönlich", sagt Elena Brückner, "sie fordern den Gastgeber wie den Gast auf, neugierig und aufmerksam zu sein." In kleinen Städten funktionieren die sogenannten Live- in-the-Living-Konzerte auch. "Aber in Berlin sind die Leute grundsätzlich offener." Nur weil sie Großstädter sind?

An einer langen Tafel im Kulinarischen Salon sitzt Martin Bösinger. Auch er ist wie Elena Brückner weniger Salonherr als Geschäftsmann. Er hat Pläne für seinen Laden: Neben den normalen Kochkursen möchte er Debattierabende anbieten. Dazu sollen Gäste eingeladen werden, die einen kurzen Vortrag halten, dann wird zusammen gespeist und diskutiert. Schon jetzt sind etwa die Abende für die Freunde italienischer Oper immer ausgebucht. Erst wird zusammen in der Küche im hinteren Teil des Ladens in Charlottenburg gebrutzelt, dann zusammen gegessen und zusammen über Rossini und Verdi geplaudert. "Ich bin fest davon überzeugt, dass es einen Markt für solche Abende gibt", sagt er. Unabhängig vom Boom der Kochshows, wie sie im Fernsehen immer noch rauf und runter laufen. "Die Menschen suchen strukturierte Abende", sagt der Geschäftsführer. Das habe schon auch mit der Großstadt zu tun. Mit der Vereinzelung, schiebt er hinterher.

Es ist spät am Abend, der letzte Wein macht die Runde. Theoretisch sollte das der beste sein. Einige Teilnehmer schielen auf den Fragebogen. Schmeckte der günstigste Wein ganz am Anfang nicht am besten? Wenn das der Weinhändler wüsste. Der fand die Weinseminar-Idee der jungen Leute so gut, dass er sie mit Prozenten unterstützte.

Das nächste "Live-in-the-Living-Konzert" findet am 20. März statt, www.liveintheliving.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false