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Kultur: In dubio pro double

auf den Spuren der Diktatoren Wir blenden nochmal zurück. Witzweise, nach Bagdad vor dem Fall.

auf den

Spuren der Diktatoren

Wir blenden nochmal zurück. Witzweise, nach Bagdad vor dem Fall. Dort sitzen acht Doppelgänger von Saddam Hussein in einem Bunker; am Morgen kommt der Informationsminister: „Hallo Jungs, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch. Welche wollt ihr zuerst hören?“ Die gute, rufen die Doppelgänger. „Saddam lebt!“, sagt der Minister, und die Doppelgänger strahlen. „Aber er hat einen Arm verloren.“

Zweite Rückblende. Als man Stalin im Frühjahr 1945 Hitlers Tod meldete, fragte er als erstes: „Und wo ist die Leiche?“ Der rote Diktator hatte sofort begriffen, welche Bannkraft ein Bild des toten Anderen, des braunen Diktators gehabt hätte. Stalin lag nicht nur am Beweis, dass der Erzfeind auch in persona besiegt war; er wollte der Welt (und den Deutschen) auch zeigen können, dass ein ins Übermenschliche Vergrößerter, ein Halbgott, gestürzt und nackt nicht mehr ist als ein Bündel Haut und Knochen, ein letzter Dreck im Kehricht der Geschichte. Auf solche Erniedrigungen verstehen sich Tyrannen, die immer fürchten müssen, selber zu fallen – doch mit dem Fall und der Entzauberung des Gegners feiern sie noch einmal die Magie der eigenen Macht.

Weil Hitlers Leiche, wenn überhaupt, vor 58 Jahren nurmehr ein verkohlter Haufen war und Stalin vor der Zeit der DNS-Analyse keine Sicherheit hatte, wurden die Überreste zur Geheimsache erklärt – angeblich sind sie erst nach der Wende bei Magdeburg anonym bestattet worden. So lange würden die Amerikaner oder viele Iraker im Fall von Saddam Hussein nun wohl nicht warten wollen. Doch der Diktator von Bagdad bleibt verschwunden. Ebenso wie Osama bin Laden. Und die Ungewissheit über diese beiden Achsenträger des Bösen wird für die Sieger trotz ihres Bombenerfolgs zum Problem.

Wird auch zum Thrill. Während ein Barbarossa seinen tausendjährigen Schlaf im Kyffhäuser noch immer schläft und nicht einmal von Umberto Eco auf siebenhundert Seiten „Baudolino“ (einer Rotbart-Kaiserschnurre) erweckt werden konnte, reizen die leeren Höhlen im Hindukusch und unter den Palästen von Bagdad und Tikrit allemal die Fantasie. Es fehlt zum vollendeten Tyrannen- und Dämonensturz nicht nur am besiegelnden letzten Bild – wie einst von Mussolini, aufgehängt an den Füßen mit seiner gleichfalls getöteten Geliebten auf einer Piazza in Mailand; oder das erschossene Ehepaar Ceausescu an der rumänischen Friedhofsmauer. Erschreckende Aufnahmen. Freilich haben sie auch die Götzenbilder des Führerkults zerstört. Das schließt zwar nostalgische Wiederbelebungsversuche in späteren Zeiten nicht aus. Aber zunächst sind es Zeichen der Revolution, einer unverrückbaren Veränderung.

Bisher wurde der irakische Herrscher als Person und Dämon einer führerkultischen Gesellschaft nur in effigie gestürzt, mit seinen Statuen und Wandbildern. Angesichts der verlassenen Bunker lebt der Tyrann nun als Zombie, als schattenhafter Untoter und Wiedergänger fort. Im Exil und gar als pensionierten Gewaltherrscher – wie Idi Amin in Saudiarabien –, so mag man sich Saddam nicht vorstellen. Er taugt auch nicht zu einer neuen Komödie: einer Fortsetzung von Erich Kästners „Schule der Diktatoren“, in der ein toter Staatschef in Gestalt seiner Doppelgänger weiter sein Wesen treibt.

Im Irak spielte man mit den Schurkendoubles jahrelang ein Schmierenstück. Und zum Witzereißen reichen Diktatoren und Diktaturen noch allemal. Doch eine Komödie, die im Ernst nur die schwarze Milchschwester der Tragödie ist, will daraus nicht werden. Das bringt uns nach so vielen gut gemeinten Diskursen und Diskussionen über Nähe und Ferne der islamischen und der christlich-jüdischen Kulturen auf eine Idee. Vielleicht wäre das Lachen, das mitunter auch Gespenster und Wiedergänger vertreibt, mal ein befreiendes Thema im Krampf der Kulturen. Alles hat es seit Khomeini, Saddam und Osama gegeben auf dem west-östlichen Diwan. Nur keinen aufklärerischen Humor. Da sitzt stattdessen noch immer das Grimmige, Finstere, Fremde, das Gewalt und Fanatismus gebiert. Frage an das Goethe-Institut: Gibt es schon eine arabische Übersetzung von Kästners Diktatorenschule?

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