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Dem Bombenkrieg entronnen. Gretha und Ernst Jünger 1947 im niedersächsischen Kirchhorst, unweit von Hannover.

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Zwischen Nachtisch und Nation: In Stilgewittern

Kämpferisch im Knochensturm: die Korrespondenz der Eheleute Gretha und Ernst Jünger.

Mein liebes Herz, Warum machst Du mir das Leben so schwer?“ Mit der Maschine geschrieben ist diese Beschwerde, die bei Gretha Jünger wohl im September 1948 eingeht. In der Ehe der Jüngers kriselte es schon länger. An weltanschaulichen Differenzen lag das kaum: Für die Nation, für den Krieg – darin war man sich einig. Noch 1958 schrieb Gretha an Ernst: Man „kann von Glück sagen, dass ich kein pazifistisches Gemüt besitze, sondern kriegerisch bin. Einen Remarque hätte ich nie geheiratet.“

Wie die eheliche Korrespondenz zweier Militaristen klingt, kann man in der Briefauswahl nachlesen, die Anja Keith und Detlev Schöttker jetzt unter dem Titel „Einer der Spiegel des Anderen“ herausgebracht haben. Der gut 700 Seiten dicke Band umfasst Briefe aus vier Jahrzehnten. „Mein kleines Prinzeßchen“, schreibt Ernst Jünger Ende Oktober 1922 an Gretha, die damals erst 16 Jahre alt ist. Knapp drei Jahre später wird geheiratet. Jünger hatte da schon die ersten literarischen Erfolge erzielt: Seine überarbeiteten Tagebücher aus dem Ersten Weltkrieg, die „Stahlgewitter“, waren 1920 erschienen.

[Gretha und Ernst Jünger: Einer der Spiegel des Anderen. Briefwechsel 1922 -1960. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021. 720 Seiten, 42 €.]

Mehr als 1900 Schreiben der Jüngers liegen in Archiven: Davon haben die Herausgeber 365 Briefe ausgewählt. Im Band sind sie chronologisch geordnet und thematisch gegliedert. Die Akzente liegen im Privaten und im Historischen: Annäherungen, Reisen, Familiensorge, Verstimmungen einerseits; NS-Herrschaft, Kriegsbeginn, Bombenangriffe andererseits.

Schätzchen und Schneckchen

Die Jüngers schreiben sich, wenn sie getrennt sind: Ernst reist viel. Die größte briefliche Lücke liegt in der Nachkriegszeit, zwischen 1945 und 1948 – da lebten sie gemeinsam in Kirchhorst. In den ehelichen Briefen geht es oft biedermeierlich zu: Schätzchen und Schneckchen schreiben einander, das „liebe Herz“ oder der „liebe Schatz“ werden adressiert.

Viel Häusliches findet sich: Wohnungssuchen, Möblierungsfragen. Die Jüngers zogen oft um: nach Leipzig, Berlin, Goslar, Überlingen, Kirchhorst, Ravensburg und zuletzt nach Wilflingen. Um Literarisches geht es dagegen seltener, obwohl auch Gretha schreibt. Statt „Marmorklippen“ also eher Marmorkuchen: „Morgen stürze ich mich nun auf Dein unschuldiges Paketchen, reiße ihm wie ein alter Lüstling den Busen auf und wenn ich wieder ein Honigkuchenherz darin finde, reiße ich es heraus und fresse es sofort!“, schmetterte Ernst Jünger noch vor der Hochzeit.

Ein kürzeres Vorwort und ein längeres Nachwort ordnen die Korrespondenz ein. Ein knapper Editionsbericht und ein ausführliches Personenverzeichnis vervollständigen die Erläuterungen. Dass auf Stellenkommentare weitestgehend verzichtet wurde, leuchtet allerdings nicht unbedingt ein – und verwundert umso mehr, als sich Detlev Schöttker seit Jahren trittsicher im Jünger-Universum bewegt. Oder sollte der Band, der 2014 schon einmal angekündigt war, vor allem für ausgewiesene Kenner und unbeirrbare Fans taugen?

Konvention und Rebellion

Ernst Jünger ist umfänglich ediert und gut erforscht: Substanziell Neues können die Ehebriefe da nicht bieten. Gretha Jünger ist zuletzt in den Fokus gerückt: Ingeborg Villinger porträtierte sie im vergangenen Jahr als „unsichtbare Frau“: hin- und hergerissen zwischen Konvention und Rebellion – und zitierte dabei ausführlich aus der damals noch unveröffentlichten Ehekorrespondenz. Auch Detlev Schöttker und Anja Keith setzen auf die Frauenkarte, wenn sie Gretha Jünger als „Chronistin des Luftkrieges in Deutschland“ etablieren wollen. Damit zielen sie auf die Briefe aus den Jahren 1939 bis 1944, den Schwerpunkt des Bandes.

Alles sei in Erwartung eines Großangriffes, vermeldete Gretha 1942 nach Paris, nicht ohne frohen Mut. Die „Flak ist sehr verstärkt; das mag ein Gerassel geben. Ich kann nur sagen, dass man sich an alles gewöhnen muss, auch an die Knochenstürme.“ Vom Ausdruck „Knochensturm“ war Ernst Jünger begeistert: Was für eine Explosion. Sie solle das „schöne Wort“ nicht abnutzen, belehrte der erfahrene Kriegsschriftsteller seine Frau. Es sei „der Schluß-Effekt beim Feuerwerk“. Die Herausgeber schließen sich an: Auch sie schwärmen davon, wie anschaulich die Kriegsbeschreibungen Gretha Jüngers seien.

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Wacker und kämpferisch bleiben die Briefe der Nachkriegszeit. Die demokratiekritischen Netzwerke der Jüngers spielen hinein: „Es fehlt eben die starke nationale Partei“, schrieb Ernst an Gretha 1957, als er widerwillig Adenauer gewählt hatte, um sein Kreuz nicht bei den „Roten“ machen zu müssen. Der neurechte Strippenzieher Armin Mohler, von 1949-1953 Privatsekretär Ernst Jüngers, wird liebevoll Arminius genannt, auf mythische Schlachten anspielend. Nicht im Teutoburger Wald, sondern im Wilflinger Forsthaus endet der Dialog, bevor die Hippies „Make love, not war“ skandieren. Bleibt also, Satisfaktion für Remarque zu fordern: Im Südwesten nichts Neues.

Hendrikje Schauer

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