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Die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange

© Karlheinz Schindler/dpa

Alexa Hennig von Langes Roman "Die Wahnsinnige": Inszeniert wie eine Netflix-Serie

Popfeministische Prosa im historischen Gewand: Alexa Hennig von Langes im Spanien des 16. Jahrhunderts angesiedelter Roman "Die Wahnsinnige".

Alexa Hennig von Lange ist ein Phänomen. Seitdem sie mit ihrem furiosen Drogen- und Liebesroman „Relax“ debütierte und die deutsche Popliteratur in den späten neunziger Jahren um eine dezidiert weibliche Perspektive ergänzte, veröffentlicht die 1973 in Hannover geborene Schriftstellerin fast im Jahresrhythmus sehr unterschiedliche Bücher.

Mal eine Weihnachtsgeschichte fürs jüngere Publikum, mal ein Stück für die Bühne, mal ein Sachbuch, zwischendurch einen Gesellschaftsroman wie „Kampfsterne“, in dem die bundesrepublikanische Vorstadthölle trefflich beschrieben wird. Mit ihrem Roman „Die Wahnsinnige“ scheint Hennig von Lange abermals literarisches Neuland zu betreten.

Die Geschichte spielt im Spanien des frühen 16. Jahrhunderts, also in jener Epoche, in der die Regenten oft wunderbare, zuweilen denunziatorische Beinamen tragen.

Johanna die Wahnsinnige ist mit Philipp dem Schönen verheiratet, doch die damals 23-jährige Thronfolgerin wurde von ihrer Mutter, der Königin von Spanien, in der andalusischen Festung La Mota eingesperrt, auf dass die Tochter hinter dicken Mauern zur Vernunft kommen möge. Denn Johanna verärgert und verschreckt die Eltern und deren Gefolgschaft mit Wutanfällen.

Vor allem weigert sie sich, die Beichte abzulegen, was der Mutter, die Isabella die Katholische genannt wird, missfällt. Eigentlich soll sich Johanna auf ihre Regentschaft vorbereiten, aber die möchte lieber frei vom klerikalen Zwang leben und über sich selbst bestimmen.

Hennig von Lange hat ein gutes Gespür für ihren Stoff

Alexa Hennig von Lange hat ein gutes Gespür für diesen Stoff, der aus personaler Perspektive, aus der Sicht Johannas entfaltet wird. So nah die Erzählstimme bei der Protagonistin bleibt, die Rückschau in der dritten Person markiert dennoch eine nötige Distanz zwischen Figur und Erzählerin.

Damit kann die zentrale Grundannahme des Romans glaubhaft durchgespielt werden, dass nämlich nicht die Titelheldin wahnsinnig ist, obwohl sie so genannt wird, sondern vielmehr jene Männer in ihrem Umfeld, die Zuneigung simulieren und doch nur ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen. Sowohl der Vater als auch der Gatte wollen Johanna um ihre Macht bringen, später sogar der eigene Sohn. Wie verrückt die historische Figur tatsächlich war, ist umstritten. Während die Großmutter mütterlicherseits völlig verwirrt starb, wird das Verhalten Johannas in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung eher als Melancholie oder manische Depression gedeutet.

Es ist wohl davon auszugehen, dass weniger ihr Seelenleiden, als vielmehr machtpolitische Gründe für ihre jahrelange Internierung eine Rolle gespielt haben.
Für den Roman spielen diese historischen Bewertungen nur eine untergeordnete Rolle, und das ist auch gut so. Hennig von Lange nimmt sich die literarische Freiheit, Johannas Lebensgeschichte wie eine spannende Netflix-Serie zu inszenieren, mit rasanten Dialogen, schroffen Wendepunkten, krassen Wutausbrüchen und starken Gefühlen.

Hier werden Liebesdrama und Politik gekreuzt

Sie nutzt die überlieferten Informationen, um eine Figur zu zeichnen, die fürs heutige Publikum interessant ist. Im Zweifel sind ihr melodramatische Szenen, eine Zuspitzung des Plots und wilde Liebesnächte wichtiger als die Rekonstruktion der damaligen Verhältnisse.

Das gelingt ihr besonders gut in einer langen Sexszene, die mit einer sanften Annährung in der Badewanne beginnt und sich zu einer wochenlangen Liebesorgie in den königlichen Gemächern entwickelt. Philipp der Schöne will nicht einmal von seiner Frau ablassen, als schon die Berater im Zimmer stehen. Johanna aber zeigt Scham und überführt mit wenigen Gesten der Zurückhaltung den Mann der irren Wollust.

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Weil Hennig von Lange es schafft, in den entscheidenden Momenten das Liebesdrama wieder mit den politischen Konfliktlinien zu kreuzen, bleibt die Handlung bis zuletzt spannend. Philipp ist weder treu noch loyal. Er betrügt Johanna sogar doppelt, im Bett mit einer anderen Gespielin und auf der Bühne der Monarchie, weil er die Gemahlin für verzichtbar hält.

Ein großer Fehler, den der Mann nicht einmal mehr bereuen kann, weil er bald sterbenskrank im Bett liegt: „So war Philipp eben. Von kurzer Dauer." Johanna könnte triumphieren, aber das wäre Verrat an den eigenen Prinzipien: „Endlich herrschten Frieden und Einigkeit zwischen ihnen, wie es eigentlich sein sollte. Sie war seine Königin. Er ihr König. Es war schön und gleichzeitig auch traurig.“

Das Buch ist kein historischer Roman. Das hätte in dem überflüssigen Nachwort nicht erklären werden müssen. Alexa Hennig von Lange bleibt vielmehr ihren Themen und ihrer Tonlage treu. Sie leuchtet Machtverhältnisse aus, die damals wie heute die Gesellschaft prägen und schönste Gefühle in dreckigen Egoismus umschlagen lassen.

„Die Wahnsinnige" ist popfeministische Prosa im historischen Gewand. Die vergangenen Konflikte dienen als Folie, um im Telenovela-Format von der Selbstbestimmung einer Frau in patriarchalen Verhältnissen zu erzählen. Das ist manchmal etwas durchschaubar. Weil Alexa Hennig von Lange die Story aber gekonnt zu verdichten, sie filmisch zu erzählen weiß, geht das Konzept auf. Die Anlage des Romans als Drehbuch sorgt für eine literarische Unterhaltung, die es in der zeitgenössischen deutschen Literatur zu selten gibt.

Carsten Otte

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