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Unter einem Dach. Das geplante Bethaus an der Gertraudenstraße ist Moschee, Synagoge, Kirche und Begegnungszentrum zugleich.

© Simulation: Kuehn/Malvezzi

Interreligiöses Projekt in Berlin-Mitte: "The House of One" - Ein Gotteshaus, drei Religionen

Keine Kirche, keine Synagoge, keine Moschee, sondern alles in einem: Auf dem Petriplatz in Berlin-Mitte soll ein einmaliges Projekt realisiert werden - per Crowdfunding.

Am Petriplatz in Mitte donnern die Lastwagen vorbei, es ist laut und zugig an der Gertraudenstraße. In ein paar Jahren soll es hier anders aussehen. Ein neues Stadtviertel soll entstehen, mit noblen Geschäfts- und Wohnhäusern. Und mittendrin: ein neues Gotteshaus. Keine Kirche, keine Synagoge, keine Moschee, sondern alles in einem. Juden, Christen und Muslime wollen hier unter einem Dach beten. Das gibt es so noch nirgendwo.

2012 gewannen die Berliner Architekten Kuehn Malvezzi den internationalen Wettbewerb für das multireligiöse Bet- und Lehrhaus St. Petri. Ihr Entwurf zeichnet den Grundriss der früheren Petrikirche nach und setzt sich nach oben als massiger Kubus fort, mit einem 32 Meter hohen Turm in der Mitte. Ab dem heutigen Dienstag wirbt der Verein „Bet- und Lehrhaus Petriplatz“ weltweit um Spenden; 40 Millionen Euro werden benötigt. Die Grundsteinlegung ist für 2015 geplant.

Die Idee entstand in der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri – St. Marien, auf deren Gebiet der Petriplatz liegt. 2006 fanden Archäologen hier Reste von fünf Kirchen. Die älteste wurde um 1200 erbaut, in den Anfangszeiten Berlins, die Ruine der jüngsten Petrikirche wurde 1964 von der DDR-Regierung gesprengt. Pfarrer Gregor Hohberg und der Gemeindekirchenrat sind überzeugt davon, dass die Religionen der Stadt auch heute Impulse geben. Der neue Sakralbau soll außerdem die Offenheit und Friedfertigkeit der drei Religionen vor Augen führen, soll zeigen, wie gut Christen, Muslime und Juden miteinander auskommen können. „Außerdem müssen wir zusammenhalten, wenn wir als Minderheiten in Berlin etwas erreichen wollen“, sagt Hohberg.

Muslimische Partner waren zunächst skeptisch

Die Jüdische Gemeinde ließ sich schnell begeistern, die liberalen Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Walter Homolka mit dem Abraham-Geiger-Kolleg schlossen sich an. Die Suche nach muslimischen Partnern war schwieriger. Moscheegemeinden lehnten ab, weil sie nicht mit Juden gemeinsame Sache machen wollen, anderen war es unheimlich, sich so offen und zentral zu präsentieren. Bei manchen Vereinen hatten die jüdischen Partner Bedenken. Schließlich kam man mit dem Forum für Interkulturellen Dialog (FID) zusammen, das allerdings nur eine Minderheit der türkischen Muslime vertritt. Der Verein gehört zur Bewegung des türkischen Predigers Fethullah Gülen, der von den USA aus ein weltweit wachsendes Netzwerk von Schulen und Universitäten unterhält und von Premierminister Erdogan gerade zum Hauptfeind der Türkei erklärt wurde. Gülen wirbt für den Dialog mit anderen Religionen und für die Versöhnung von Religion und Moderne. Das kommt vor allem bei jungen Männern und Frauen an, die gesellschaftlich aufsteigen wollen. Die meisten Mitglieder des FID haben einen Hochschulabschluss.

Für die Architekten ist es nicht einfach, alle Bedürfnisse zu befriedigen. Juden, Christen und Muslime wollen in dem neuen Haus zwar unter einem Dach Gottesdienst feiern, aber in getrennten Räumen. Moschee und Synagoge müssen nach Osten ausgerichtet sein. Muslime benötigen einen quadratischen Raum, damit möglichst viele Schulter an Schulter beten können. Die Juden brauchen Platz auf dem Dach, für die Hütte beim Laubhüttenfest. Der Entwurf wurde immer wieder angepasst, warum auch nicht. Sich über die Glaubensinhalte und religiösen Praktiken auszutauschen, ist schließlich Sinn und Zweck des Projekts.

Keine andere multireligiöse Initiative der Stadt hat eine solche Dynamik entfacht wie der Petriplatz-Plan. Je konkreter die Gespräche, desto eher kommen auch Konflikte auf den Tisch. Um die Spendenkampagne vorzubereiten, haben sich Pfarrer Hohberg, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Imam Kadir Sanci fast täglich getroffen. Schon die Suche nach einem international eingängigen Namen war schwierig. Nach langen Debatten einigten sie sich auf „The House of One“. Das „One“ steht für die Menschheit, aber auch für den Glauben an den einen Gott der Juden, Christen, Muslime.

Das Petri-Projekt soll zeigen, wie dialogfähig der Islam ist

Aber ist es derselbe Gott? Gregor Hohberg meint, nein. Juden, Christen und Muslime haben unterschiedliche Gottesbilder. „Die Wahrheitsfrage können wir nicht entscheiden“, sagt Hohberg. Gott habe sich eben nicht nur den Christen offenbart, sondern auch Juden und Muslimen. Aber warum nicht aus den Offenbarungen der anderen lernen? Lange haben sie auch diskutiert, ob sie mit einem Trailer werben sollen, der mit einem religiösen Konflikt beginnt. Imam Sanci war dagegen, den Islam gleich wieder mit möglicher Gewalt in Verbindung zu bringen. Das Petri-Projekt soll aus seiner Sicht ja gerade die Verzerrungen in der Wahrnehmung korrigieren und zeigen, wie dialogfähig der Islam ist. Dafür, dass sie mitmachen, wird das FID von reaktionären Muslimen im Internet beschimpft.

Bei solchen Diskussionen zeigt sich, dass es sich um ungleiche Partner handelt. Sie verfügen über unterschiedliche Erfahrungen mit der deutschen Gesellschaft, unterschiedliche personelle Ressourcen, intellektuelle Kapazitäten und politische Einflussmöglichkeiten. Die evangelische Kirchengemeinde vertritt die Religion der Mehrheitsgesellschaft, sie kann auf einflussreiche Förderer zählen. Die jüdische Gemeinschaft ist anerkannte Minderheit und weiß sich durchzusetzen. Dem Islam fehlt die staatliche Anerkennung, auskunftsbereite Theologen sind rar.

Unter ihnen sei Vertrauen gewachsen, sagen alle drei, intern spreche man sehr offen. Doch bis das Vertrauen über diesen Kreis hinausgeht, müsse noch viel geschehen. Deshalb sei der geplante vierte Raum in der Mitte des Gebäudes so wichtig. Hier sollen sich die Gläubigen mit anderen Besuchern austauschen – gerade auch mit denen, die mit Religion nichts anfangen können. Hier, unter der hohen Kuppel, soll es Diskussionsabende geben, soll aus dem Austausch zwischen Christen, Juden und Muslimen etwas Gemeinsames, nicht Vorhersehbares entstehen.

Viel zu akademisch und abstrakt, lautet ein Vorwurf, das Projekt sei zu wenig ins Leben der Kirchen-, Moschee- und Synagogengemeinden eingebunden. Kritik kommt von Personen, die sich seit Jahren abmühen, mit dem Imam, Rabbiner oder Pfarrer um die Ecke ins Gespräch zu kommen. Auch die katholische Kirche steht dem Vorhaben reserviert gegenüber. Von außen könne man gar nicht erkennen, dass es sich um ein sakrales Bauwerk handelt, schimpft der Schriftsteller und bekennende Katholik Martin Mosebach. Die kubische Form erinnert ihn an ein „Pharaonengrab“. Formlosigkeit bei einem sakralen Gebäude hält er für Gotteslästerung. Petra Bahr, die Kulturbeauftragte der evangelischen Kirche, nennt es lieber „Mut zur Lücke“. Für sie liegt der Reiz gerade darin, nicht alles im Voraus zu wissen.

Das Geld für das neue Bethaus soll über Crowdfunding zusammenkommen; weder die evangelische Landeskirche, noch die jüdische Gemeinde oder die Gülen-Bewegung steuern etwas bei. Das sei auch gut so, sagt Hohberg, man wolle sich nicht abhängig machen, auch nicht von großen privaten Sponsoren. Die Höhe der Einzelspenden ist deshalb begrenzt. Die Kampagne, die heute an den Start geht, wird zeigen, wie gut die Idee ankommt.

Infos: www.bet-lehrhaus-berlin.de sowie ab 3. Juni www.house-of-one.org

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