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Interview: Ideologie macht krank

Der Regisseur Michael Haneke spricht mit dem Tagesspiegel über seine protestantische Kindheit, Faschismus und Fundamentalismus.

Herr Haneke, sind Sie katholisch?



Nee. Wie kommen Sie darauf?

Weil Sie in Bayern geboren und in Wien aufgewachsen sind.

Ich bin in Bayern aus reinem Zufall geboren. Meine Eltern waren Schauspieler und zur Truppenbetreuung in Bad Gastein. Und da in München das nächste seriöse große Krankenhaus war, sind sie dorthin gefahren, und ich wurde dort geboren. Viel später habe ich mal lange Zeit in München gelebt. Mein Vater war Deutscher, und deshalb bin ich evangelisch getauft; meine Mutter war katholisch, und ich bin unter Katholiken in Österreich aufgewachsen, da war ich eine solitäre Erscheinung in der Schule, und das war ganz schön.

Sie mussten also nicht als Protestant in der Diaspora leiden?

Im Gegenteil, es war sehr angenehm, ich hatte immer frei, wenn die anderen Religion hatten. Nur selten kam jemand an die Schule, um protestantischen Religionsunterricht zu geben. Ich war sehr gläubig als Kind.

Kommt daher Ihre Faszination für das protestantische Klima in Norddeutschland?

Der Rigorismus des Protestantismus hat mich in der Tat fasziniert. Mit 14 wollte ich sogar noch Pfarrer werden. Das hat sich dann schnell gelegt. Aber ich bin überhaupt nicht streng erzogen worden, im Gegenteil, vaterlos aufgewachsen und von meiner Mutter, Großmutter und Tante verhätschelt worden. Aber mich hat die Frage eben fasziniert, wie man bereit wird, einer Ideologie zu folgen.

Vielleicht nennen Sie ein Beispiel.

Schockiert hat mich die Szene in dem Dokumentarfilm über den Eichmann-Prozess, wo er gefragt wird, wie er zu seinen Verbrechen steht, und er sagt ohne jedes schlechte Gewissen: „Ich habe meine Pflicht getan“. Er hat gar nicht verstehen wollen, warum man ihn anklagte. Das hat mich ziemlich irritiert. Diese Obrigkeitshörigkeit, die Arbeitsmoral – alles, was man in Deutschland mit Tüchtigkeit verbindet. Oder nehmen Sie Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, die ich übrigens persönlich ganz gut gekannt habe. Die kamen aus sehr protestantischen Häusern und sahen die Dinge mit großem moralischen Rigorismus. Sie waren geprägt durch eine Situation von Unbehagen, Unterdrückung, Angst und Demütigung und folgten dann einer Ideologie, die sie für die Lösung hielten. In einem Klima, das den Rigorismus fördert, gedeiht so was ganz leicht.

Für mich ist Ihr Film eine Parabel auf den protestantischen Fundamentalismus, wie es ihn gab und immer noch gibt.

Fundamentalismus gibt es überall. Und darum geht es eigentlich. Wenn ein arabischer Regisseur einen Film über den Fundamentalismus im Islam machen würde, würde der völlig anders ausschauen. Aber der Grund ist der gleiche. Im „Weißen Band“ geht es um Deutschland nur als Paradebeispiel für diese Grundhaltung. Sonst wäre es ein Film nur für Deutsche, nicht einmal das. Es ist ja kein Film über den deutschen Faschismus.

Sie haben wunderbarerweise Kinder gefunden, die überhaupt nicht aussehen wie heutige, sondern zeitlose Gesichter haben.

Das war meine Hauptsorge: Wie findet man, wenn alles vorbereitet ist und die Maschine rollt, die Kinder für die Hauptrollen? Deswegen haben wir schon ein halbes Jahr vorher mit dem Casting begonnen und uns mehr als 7000 Kinder angeschaut. Die Gesichter sollten irgendwie altmodisch sein, und natürlich sollten die Kinder auch begabt sein. Einen leidlich begabten Schauspieler kann man mit Kritik einigermaßen hinbiegen, aber mit einem unbegabten Kind kann man machen, was man will, da kommt nichts dabei heraus.

Sie haben mit dem Lehrer als Vermittler wieder ein Medium eingeführt. Warum?

Er ist der Einzige, der von außen kommt. Also kann er die Sache ein bisschen anders sehen. Das war nötig, genau so wie das Schwarz-Weiß nötig war, weil ich ja nicht den Eindruck erwecken will, ich wüsste, wie es war. In historischen Filmen wird oft mit so einem Farbnaturalismus behauptet: „So war das damals“. Zum Glück ist diese Epoche im kollektiven Bewusstsein in Schwarz-Weiß festgehalten. Das erleichtert es den Zuschauern dieses Films, in sie einzutreten. Auf der anderen Seite schafft das Schwarz-Weiß eine Stilisierung und Verfremdung. Erzähler und Schwarz–Weiß verweisen darauf, dass es sich um ein Artefakt handelt, nicht um die Wirklichkeit.

Hätte diese Geschichte auch in einem katholischen Milieu passieren können?

Um noch einmal auf Eichmann zurückzukommen: Ich bin sicher, dass ein italienischer Faschist nicht versucht hätte, sich auf die gleiche Weise zu verteidigen.

Das Gespräch führte Daniela Sannwald.

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