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Das Glück dieser Erde. Ab Herbst zeigt Stage Entertainment im Berliner Theater des Westens die Londoner Show „Gefährten“.

© Stage Entertainment

Interview mit dem Chef von Stage Entertainment: „Musical ist eine Einstiegsdroge“

Stage Entertainment betreibt inzwischen drei Musicaltheater allein in Berlin. Ab Herbst läuft am Theater des Westens die Weltkriegs-Show "Gefährten". Im Tagesspiegel-Interview spricht Johannes Mock-O’Hara, Deutschlandchef der Stage Entertainment, über Publikumswünsche, Pannen und Pferde für Berlin.

Herr Mock-O’Hara, in Hamburg spielen Sie bald wieder das „Phantom der Oper“, in der Neuen Flora, wo es als deutsche Erstaufführung 1990 herauskam und bis 2001 lief, über 4400 Mal. Wer will das Stück denn heute noch sehen?

Das Phantom ist vielleicht das größte Musical aller Zeiten, es läuft seit 25 Jahren am Broadway, länger ist keine andere Show dort jemals gezeigt worden. Im Gegensatz zu „Cats“, das für mich mittlerweile etwas angestaubt wirkt, ist das „Phantom“ immer noch zeitlos gut. Tatsächlich wurden wir seit Jahren so oft von unseren Zuschauern gefragt, wann das Stück mal wieder gezeigt werde, dass wir uns zu dem Revival entschlossen haben. Und Sie glauben gar nicht, wie viele Bewerbungen wir aus der Musicalszene hatten. Zwei Tage nach Bekanntwerden des Revivals musste unsere Castingabteilung die Telefone abschalten, weil die Künstler, die unbedingt dabei sein wollten, ihnen sogar auf die Mailbox gesungen haben.

Am Broadway und am Londoner Westend sind Revivals schon lange Tradition. Oft werden solche Wiederaufnahmen alter Hits durch besondere Stars aufgewertet.

Ja, das stimmt. Wir aber machen das jetzt nicht, denn beim „Phantom“ ist einfach die Show der Star. Was wir aber tun wollen, ist die Produktion aufzufrischen, zu optimieren. Andrew Lloyd Webber persönlich hat seine Partitur neu arrangiert und orchestriert, um sie den veränderten Hörgewohnheiten anzupassen.

Im Klartext bedeutet so ein Neuarrangement meistens, dass künftig weniger Musiker im Orchestergraben sitzen.

In der Tat wird das Live-Orchester kleiner sein als früher. Dafür aber klingt der Sound frischer. Wir haben da allerdings auch gar keine Wahl: Es gibt eine Fassung der Show, die wir vom Lizenzgeber bekommen können. Und deren Form wird von Lloyd Webber festgelegt.

Die Grundidee von Stage Entertainment ist, Produktionen von Theater zu Theater wandern zu lassen, damit sich die Inszenierungen auf Dauer rentieren. Funktioniert das heute noch, bei steigender Mobilität?

Tendenziell merken wir, dass Städtereisen einen Boom erleben, dass die Leute weiter herumkommen. Dennoch hat sich das Standortwechsel-System für uns oft bewährt, weil an jedem Standort das potenzielle Publikum begrenzt ist. Darum zeigen wir viele unserer Stücke nacheinander in mehreren Städten. Da wir keine Subventionen bekommen, ist jedes neue Stück erst einmal eine Investition und ein Risiko für uns.

Wie genau erforschen Sie die Wünsche Ihres Publikums?

Es ist die Grundvoraussetzung unserer Arbeit, auf unsere Gäste zu hören. Wir geben viel Geld für Besucherbefragungen aus und bemühen uns, die Erwartungen der Kunden zu erfüllen. Das Musical ist ja gewissermaßen die Einstiegsdroge in den Kulturbereich. Viele Menschen muss man erst einmal mit der Situation von Kulturerlebnissen vertraut machen. Manche kostet es wirklich Überwindung, sich überhaupt in einen Theatersaal zu setzen. Der Hamburger „König der Löwen“ ist die Show mit den meisten Erstbesuchern überhaupt: 20 Prozent der Kartenkäufer waren vorher noch nie in ihrem Leben in irgendeiner Form von Theater. Wenn wir Glück haben, lassen sie sich begeistern, schauen sich dann auch die etwas eckigeren Stücke an, Shows wie „Wicked“ oder „Hinterm Horizont“.

Ist der Musical-Sektor ein Markt, der parallel zur staatlich finanzierten Kultur existiert, oder mischen sich die Zielgruppen?

Hamburg, wo unsere Deutschlandzentrale angesiedelt ist, hat gemessen an der Einwohnerzahl eine enorm hohe Quote von Theaterbesuchen. Wenn es uns gut geht, geht es auch den anderen gut, dem Thalia, dem Deutschen Schauspielhaus, aber auch den Privaten, dem Ohnsorg. Wir profitieren gegenseitig voneinander, die Zielgruppen mischen sich erwiesenermaßen. Ich bin übrigens ein großer Befürworter des subventionierten Theaters. Das sind keine Gegner für uns, sondern ergänzende Marktteilnehmer.

In Hamburg entsteht für Sie gerade ein viertes Musical-Haus, das im Herbst 2014 fertig werden wird, Ihr Konkurrent „Mehr Entertainment“ baut dort ebenfalls. Haben Sie keine Angst vor Überkapazitäten?

Wenn wir gute Shows spielen, kommen auch mehr Leute. Als wir beispielsweise in Berlin unser Angebot von zwei auf drei Häuser erweitert haben, also zum Theater am Potsdamer Platz und dem Theater des Westens noch das Bluemax hinzukam, haben sich die Häuser nicht untereinander kannibalisiert. Stattdessen stiegen die Besucherzahlen um ein Drittel.

Das Musical hat in den Stadttheatern die Operette abgelöst. Da wächst neues Publikum auch für Sie heran.

Das kann man so sehen. Allerdings verzerren die Stadttheater gleichzeitig auch die Preise. Wenn die Leute gewöhnt sind, an subventionierten Bühnen 28 Euro pro Karte zu zahlen, fragen sie sich, warum sie bei uns 80 Euro zahlen sollen. Der schwärzeste Tag in meiner Zeit bei Stage Entertainment war der 10. Februar 2010, als ich den Mitarbeitern in unserem Essener Colosseum-Theater sagen musste, dass das defizitäre Haus geschlossen wird. Unter anderem auch deshalb, weil drumherum ein halbes Dutzend Stadttheater regelmäßig Musicals spielen. Andererseits liegt unsere größte Stärke ja darin, neue Stücke zu entwickeln. Vier der neun Shows, die derzeit in Deutschland laufen, wurden von uns selber erdacht und herausgebracht. Zum allerersten Mal in der Geschichte des Musicals wird mit „Rocky“ übrigens demnächst ein in Deutschland uraufgeführtes Musical am Broadway herauskommen.

Im Berliner Schlossparktheater hat Stage Entertainment vor ein paar Jahren probiert, eine Art Off-Broadway-Spielstätte zu betreiben. Das ging nicht lange gut. Ist damit das Thema für Sie erledigt?

Dieses Berliner Experiment war defizitär, da haben wir sehr, sehr viel Geld verloren. Weil man erst hinterher feststellte, dass ein kleines Theater genauso viel Aufmerksamkeit braucht wie ein ganz großes. Auch die Lage im Bezirk Steglitz war nicht hilfreich. Darum haben wir unser Konzept in diesem Bereich modifiziert: Wir kooperieren jetzt mit Partnern. Bei „Hinterm Horizont“ zum Beispiel mit dem St.-Pauli-Theater Hamburg.

In Berlin bringen Sie im Herbst als Nachfolger des Dauerbrenners „Tanz der Vampire“ im Theater des Westens „Gefährten“ heraus, kein Musical, sondern ein Stück, bei dem man noch nicht einmal weiß, wie man es nennen soll.

In London, wo „Gefährten“ 2007 entstand, sagen sie einfach Show dazu. Das kann im Englischen ja jede Form von Bühnendarbietung sein. Also: Es ist Theater, es wird auch gesungen, es kommen Puppen vor, nämlich verblüffend lebensecht wirkende Pferde. Das Wichtigste dabei ist aber nicht die Genrebezeichnung, sondern die Geschichte. Und die ist zutiefst bewegend. Denn es geht um einen Jungen und seinen tierischen Freund inmitten der Gräuel des Ersten Weltkriegs. Diese Produktion wollten wir unbedingt nach Deutschland holen, gerade nach Berlin, genau 100 Jahre nach dem Ausbruch dieses Krieges. Das Stück ist ein finanziell großes Wagnis, und wir hoffen darauf, dass uns unsere Stammgäste einen Vertrauensvorschuss geben.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

Johannes Mock-O’Hara ist seit 2008 Deutschland-Geschäftsführer des niederländischen Unterhaltungskonzerns Stage Entertainment.

Er ist für 1700 Mitarbeiter in 11 Theatern zuständig, die jede Woche knapp 120 000 Tickets anbieten.

Johannes Mock-O’Hara wurde 1964 in Köln geboren und wuchs in Brüssel, Hamburg, Delmenhorst und Lüneburg auf. Nach einem Betriebswirtschaftsstudium arbeitet er zunächst in einem Freizeitpark bei Celle sowie beim Windenergie-

anlagenhersteller

Enercon in Aurich.

Ab 1996 baute er die Sea Life Center in

Timmendorfer Strand und Hamburg auf,

bevor er zu Stage Entertainment wechselte.

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