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Steven Night im Herbst 2013. Sein Film "No Turning Back" lief auf den Filmfestspielen von Venedig.

© Reuters

Interview mit Filmregisseur Steven Knight: "Klasse ist Herkunft und Auftrag"

Als Drehbuchautor für Stephen Frears und David Cronenberg wurde er bekannt: Nun führt der Brite Steven Knight selber Regie. "No Turning Back" erzählt von einem Bau-Vorarbeiter in der Lebenskrise. Ein Gespräch über Helden des Alltags.

Mr. Knight, ein Mann im Auto, eine Freisprechanlage – für einen Film, der auf Spannung setzen will, hat "No Turning Back" eine verdammt schlanke Ausgangsposition.
Man muss das Publikum sehr früh in die Probleme der Hauptfigur einbinden, dann klappt das schon. Dann vergisst es auch sehr schnell, dass es die anderen, die nur als Anrufer präsent sind, gar nicht zu Gesicht bekommt. Diese Figuren sollen im Kopf des Zuschauers Gestalt annehmen.

Man kann eine derart reduzierte Form auch wählen, um vor allem die eigene Kreativität herauszufordern.
Auf jeden Fall! Aber die Story muss die Form bestimmen, nicht umgekehrt. Wenn man mit den Zuschauern am Anfang eine Abmachung trifft und ihnen klar sagt ,Das ist alles, was ihr zu sehen bekommt‘, dann kann er sich entspannen und dem Geschehen mit größerer Aufmerksamkeit folgen. Allerdings muss man beim Drehbuchschreiben dann ganz besonders darauf achten, dass man das Publikum nie loslässt. Bei Testvorführungen zeigte sich das. Anfangs hatten wir eine Fassung, in der es mehr Außenaufnahmen auf das Auto gab, aber die Zuschauer wollten das gar nicht. Sie wollten zurück ins Auto.

Sie haben Drehbücher zu Kostüm- und Mafiafilmen verfasst und feierten letztes Jahr mit dem Actionfilm „Redemption“ Ihr Debüt als Regisseur. Warum jetzt, nach eigenem Buch, die Geschichte eines Bauarbeiters und Familienvaters?
Das war eine sehr bewusste Entscheidung. Ich wollte die Kamera auf einen gewöhnlichen Mann richten, für den sich die Lokalnachrichten in der Regel nicht interessieren und ein Kinofilm erst recht nicht. Ivan Locke ist ein geradliniger, vernünftiger, verlässlicher Mann. Was ihm passiert, könnte jedem zustoßen.

Aber warum gerade ein Betonbauer? Wofür steht dieser Beruf?
Ich habe selber als junger Mann auf dem Bau gearbeitet. Wenn der Beton angeliefert wird, ist das immer ein Großereignis auf einer Baustelle. Sehr viel Geld und die Jobs einiger Menschen stehen auf dem Spiel. Wenn sich die Betonmischer-Lastwagen vor der Baustelle aufreihen, muss alles wie am Schnürchen funktionieren. Außerdem hat mir die Idee gefallen, dass dieser Baustoff Ivan Lockes Charakter spiegelt. Er glaubt daran, dass man Dinge in eine solide Form bringen kann. Ich habe ihn nach dem Philosophen und Rationalisten John Locke benannt, der mit seinen Lehren Ordnung ins Chaos bringen will und das individuelle Sein dieser Aufgabe unterordnet.

Ivans Verantwortungsgefühl ist nicht eben typisch für das heutige Wirtschaftsleben. Wenn man auf die Bankenkrise guckt ...
Es ist schwer, eine Loyalität zu seiner Arbeit aufzubauen, wenn man vor einem Computerbildschirm sitzt und nur virtuelle Entscheidungen trifft. Zur Vorbereitung auf meinen Film habe ich dagegen ein paar Wochen mit einem Mann verbracht, der drei Jahre auf einer der größten Baustellen Londons genau Ivans Job gemacht hat – und dafür wurde er nicht einmal besonders gut bezahlt. Aber solche Leute haben eine absolute Loyalität zu ihrem eigenen Handwerk. Wenn sie an einem großen Gebäude mitbauen, dann ist das „ihres“. Einen Bonus kriegen sie dafür allerdings nicht.

Seit Jahrzehnten feiert das britische Kino die Arbeiterklasse. Wie kommt es zu dieser speziellen Passion?
Klasse hat in England immer noch eine sehr starke Bedeutung. Sie ist nicht nur Herkunft, sondern aus dieser Herkunft leitet sich auch ein Auftrag her. Wenn man, wie ich, in die Arbeiterklasse hineingeboren wurde, wächst man im kulturellen Sinne daraus nie vollständig heraus. Man sieht die Dinge so, wie sie sich einem in der Kindheit erklärt haben. Ivan entwickelt für sich noch einen zusätzlichen Auftrag: Er wurde in eine Familie hineingeboren, in der sich der Vater nicht um seine Pflichten kümmerte, und versucht sein ganzes Leben lang, dieser Vergangenheit zu entkommen.

Der feste Glaube, alles ließe sich rational lösen: Ist er auch typisch männlich?
Er ist zumindest charakteristisch für eine gewisse männliche Sicht auf die Welt. Ivan geht es immer darum, möglichst schnell zu einer praktischen Lösung zu kommen. Aber was mit Beton funktioniert, funktioniert nicht immer in menschlichen Beziehungen. Ivan ahnt zwar, dass seine Problemlösungstechnik nicht aufgeht, aber er bleibt dabei. Insofern blicke ich in dem Film kritisch auf meine Geschlechtsgenossen.

Gleichzeitig geht es um die Grenzen des menschlichen Multitaskings ...
... und noch mehr darum, wie es unseren Alltag bestimmt. Beobachten Sie doch nur, wie wir mit unseren Smartphones telefonieren! Es klingelt, wir schauen, wer dran ist, und verwandeln uns – bevor wir das Gespräch annehmen – in die Person, die sich auf die potenziellen Bedürfnisse des Anrufers einstellt. Wir werden zum Vater, zum Bruder, zum Freund, zum Arbeitnehmer. Mit jedem Anruf absolvieren wir eine Meisterklasse der Verwandlungskunst, jedes Mal werden wir ein anderer Mensch.

Das Gespräch führte Martin Schwickert.

STEVEN KNIGHT, 55, wurde bekannt mit Drehbüchern für Stephen Frears, Michael Apted und David Cronenberg. In „No Turning Back“ führt er zum zweiten Mal selbst Regie.

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