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Sandra Hüller als Dänenprinz Hamlet in der Bochumer Inszenierung von Johann Simons.

© JU Bochum

Schauspielerin Sandra Hüller: „Intimität kriegt man nicht im Späti“

Das Berliner Theatertreffen startet am Freitag online. Ein Gespräch mit Sandra Hüller über Frauenklischees und das Theater in der Krise.

Von „Toni Erdmann“ bis zu „Hamlet“: Sandra Hüller kann alles. Für ihre Rolle als ehrgeizige Karrierefrau mit Hippie-Vater in Maren Ades Erfolgsfilm bekam sie den Europäischen Filmpreis, als Theaterschauspielerin wurde sie mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet.

Seit 2018 ist sie Ensemblemitglied am Schauspielhaus Bochum. Von dort kommt Johan Simons’ Shakespeare-Inszenierung „Hamlet“, die am Freitagabend das Berliner Theatertreffen eröffnet – online. Mit Sandra Hüller in der Titelrolle (on demand über die Seite der Berliner Festspiele, 1. Mai, 20 Uhr bis 2. Mai, 19.59 Uhr. Am 2. Mai läuft der „Hamlet“ ab 20.15 Uhr auf 3sat.)

Frau Hüller, die Welt befindet sich im Lockdown, auch unser Gespräch findet selbstverständlich am Telefon statt. Wie erleben Sie diese Zeit?
Das ist eine ganz komische Mischung. Einerseits bin ich persönlich total dankbar für die Situation, in der ich mit meiner Familie bin. Die ist – toi, toi, toi – erst einmal abgesichert, und deswegen freuen wir uns eigentlich alle, dass wir zusammen sein können. Es ist ja in diesem Beruf nicht unbedingt üblich, so viel Zeit mit der Familie zu verbringen.

Und andererseits?
Andererseits kriege ich natürlich mit, in welcher Lage sich teilweise Kolleginnen und Kollegen befinden, die nicht fest angestellt sind. Da laufen Sachen, die einfach nicht gehen – mal abgesehen davon, was an den EU-Außengrenzen passiert. Aber für mich ganz persönlich, privat, ist es eigentlich eine schöne Zeit.

Fehlt Ihnen das Theater?
Das Spielen selbst fehlt mir für meinen persönlichen Psychohaushalt nicht, aber die Zusammenkunft mit den Kolleginnen und Kollegen in Bochum – der Austausch über Kunst – schon. Und ich vermisse die Verbindung zum Publikum. Insofern wird das Theater jetzt doch ein kleiner Sehnsuchtsort.

An diesem Freitag wird das Theatertreffen eröffnet – im Netz. Sie hätten als Hamlet auf der Bühne des Berliner Festspielhauses gestanden, jetzt wird von Johan Simons’ Inszenierung eine Fernsehaufzeichnung gestreamt. Wie fühlt sich das für Sie an?
Ich bin froh, dass die Leiterin des Theatertreffens, Yvonne Büdenhölzer, und ihr Team entschieden haben, Aufzeichnungen online zur Verfügung zu stellen. Auch, wenn das mit dem direkten Erleben einer Aufführung natürlich überhaupt nicht vergleichbar ist. Aber es lässt sich ja nicht ändern. Pragmatisch zu sein, hilft in diesen Zeiten extrem.

Schauen Sie Theater im Netz?
Ich habe kürzlich „Am Königsweg“ geguckt.

Falk Richters Elfriede-Jelinek-Inszenierung vom Hamburger Schauspielhaus ...
Es ist trotz der Virtualität ein unglaublich tolles Erlebnis, das zu sehen! Die Kraft, die darin liegt, überträgt sich auch über den Bildschirm. Insofern habe ich die Hoffnung, dass auch zum Theatertreffen möglichst viele Leute einschalten, nicht nur bei „Hamlet“.

Wenige Dramenfiguren werden so oft und verschieden interpretiert wie Hamlet: als Zweifler, Zauderer, Borderliner oder auch einfach als Spielanlass für furiose Ego- Shows. Was ist „Hamlet“ für Sie?
Ich habe mich da an meine wunderbare Kollegin Angela Winkler gehalten, die auf die Frage, ob sie eigentlich einen Mann oder eine Frau spiele, sagte, sie spiele ein Kind von Eltern.

Sie haben Peter Zadeks „Hamlet“ mit Angela Winkler 1999 noch gesehen?
Ich habe, ehrlich gesagt, noch nie einen „Hamlet“ gesehen. Und ich hatte das Stück vorher auch noch nie gelesen. Trotzdem hat mich Angela Winklers Satz begleitet: Hamlet ist jemand, der verlassen worden ist, letztlich von aller Welt, bis auf seinen Freund Horatio.

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Und wenn ich mir das vorstelle – ein junger Mensch, der sehr klug ist, der bestimmte Fragen im Leben stellt und dem plötzlich der Vater wegstirbt – dann würde mir das, was da passiert, als Stück eigentlich schon reichen. Aber dann ereignen sich ja auch noch all die anderen Dinge.

Sie haben für Ihre „Hamlet“-Darstellung den Gertrud-Eysoldt-Ring bekommen. In der Jurybegründung heißt es: „Sandra Hüller spielt sich selbst, indem sie den Hamlet spielt“. Fühlen Sie sich erkannt?
Das ist ein großes Kompliment – und ein richtig philosophischer Satz, den ich jetzt gar nicht so auf die Schnelle auseinanderdividieren kann. Aber ich glaube, es geht vor allem um eine Erfahrung von Intimität; die Leute haben das Gefühl, man ist wirklich nahe beieinander.

Sie haben auch nach der Premiere noch oft darüber gesprochen, dass Ihnen die Figur immer wieder entgleite wie ein Fisch.
Intimität herzustellen, ist wirklich Aufwand. Das kriegt man nicht im Späti, da muss man sich schon zur Verfügung stellen! Zumal man nie weiß, ob das Publikum das an dem jeweiligen Abend auch macht. Vielleicht haben die Leute ja gerade andere Probleme und können sich nicht konzentrieren. Ob wir uns finden oder nicht – das ist Vabanque. Aber wenn wir es tun, ist es tatsächlich ein sehr großes Erlebnis miteinander.

Sie haben auf der Bühne seit jeher Frauen- wie Männerrollen gespielt. Ist die Diskussion um Männlichkeits- und Weiblichkeitsstereotype für Sie überhaupt ein Thema?
Es gibt zwar ein paar wenige berühmte Frauenfiguren, aber die großen Rollen am Theater sind ja tatsächlich Männerrollen. Nehmen wir zum Beispiel Ophelia aus „Hamlet“ – ich meine: Wer will denn das spielen? Welche moderne, kluge Frau hat den Wunsch, diese Rolle so zu verkörpern, wie sie im Text steht? Das ist ja die reinste Quälerei!

Bei uns verschmilzt die Ophelia-Figur mit Horatio, Hamlets Freund. Das bedeutet aber: Es ist wirklich das Glück einer guten Regie und Dramaturgie nötig, und man braucht eine tolle Kollegin wie Gina Haller, die in unserer Inszenierung alles andere spielt als dieses Blümchen am Wegesrand, das der Text vorgibt. Es steht eben nicht so da, sondern man muss es sich erst ausdenken.

Ein Grundproblem mit alten Texten aus anderen historischen Kontexten.
Wie man das ändern kann, weiß ich auch nicht. Vielleicht, indem man solche Texte schreibt wie die wunderbare Frau Jelinek, bei denen es von vornherein egal ist, ob sie von einer Frau oder einem Mann gespielt werden. Hauptsache, es ist jemand, der sie verständlich machen kann!

Ich persönlich habe das Glück, dass ich offenbar auch androgyn aussehe, sodass viele Leute von Anfang an die Fantasie hatten, dass ich beide Geschlechter verkörpern kann. Aber natürlich wäre es toll, wenn das überhaupt kein Thema mehr wäre und jede alles spielen könnte. Im Leben können wir uns ja auch entscheiden, welchen Weg wir gehen wollen.

Sie haben kürzlich eine interessante Strategie ins Spiel gebracht: Wäre es sachdienlich, gezielt Rollen anzunehmen, deren Frauenbild „nicht auf der Höhe ist“, um sie innerhalb des Projekts „umzumodeln“?
Darüber denke ich viel nach. Ich will es mir ja nicht zu leicht machen und immer die Sahnestücke herauspicken, bei denen die Figuren von Beginn an eigen und selbstständig sind. Aber die Frage ist: Schafft man es, in so einem richtig schlimmen, altbackenen Drehbuch den Rahmen zu sprengen? Wenn das schiefgeht, sitzt man ja richtig in der Falle!

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Das diesjährige Theatertreffen ist das erste mit einer Frauenquote: Mindestens die Hälfte der Inszenierungen muss von Regisseurinnen stammen. Aktuell sind es sechs von zehn. Wie stehen Sie zur Quote?
Bevor es dazu kam, war ich ambivalent. Man ist ja immer so beleidigt als Frau, wenn man dieses Instrument braucht. Aber als das Theatertreffen die Frauenquote dann eingeführt hat, dachte ich: Ja klar, wie sollen wir denn wissen, ob das funktioniert, wenn wir es nicht probieren? Wir verändern ja nichts, wenn wir immer im Kreis debattieren; man muss auch irgendwann handeln.

Die Quote zieht in ästhetischen Diskussionen fast zwangsläufig die Frage nach so etwas wie „männlicher“ und „weiblicher“ Regie nach sich. Sind das aus Ihrer Sicht brauchbare Kategorien?
Nein. Ich sag mal so: Es gibt Arschlöcher und keine Arschlöcher. Überall.

Männliche wie weibliche.
Aber hallo!

Und es gibt Regisseurinnen, die konventionelle Geschlechterbilder reproduzieren.
Ja klar, gibt es alles. Deshalb müsste man sich auch eher darum kümmern, was für Gedanken auf die Bühne gebracht werden, egal, von wem sie kommen.

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Wie wird es für die Theater weitergehen, wenn sie wieder öffnen dürfen?
Es fällt mir wirklich schwer, darüber nachzudenken, weil wir ja überhaupt nicht wissen, wann das sein wird. Gerade erst wurde die Spielzeit an vielen Orten für beendet erklärt. Ich finde das zwar nachvollziehbar, frage mich aber auch, ob man nicht einen Zwischenweg finden könnte, um sich trotzdem mit Abstand zu versammeln und gemeinsam Kunst zu erleben. In Bochum denken wir gerade sehr grundsätzlich darüber nach, was für ein Theater wir machen wollen. Vielleicht besteht ja jetzt tatsächlich eine Chance auf Veränderungen, auf die man schon lange gewartet hat, für die aber nie Zeit war.

Welche denn zum Beispiel?
Vielleicht werden die Programme künftig ein bisschen schmaler und dafür ein bisschen besser durchdacht, und vielleicht gibt es dann auch weniger erschöpfte Schauspielerinnen und Schauspieler? Vielleicht denkt man über Kinderbetreuung nach oder darüber, was das Ensemble-Netzwerk angeregt hat: Dass man nicht nur für die Zeit bezahlt wird, in der man präsent ist, sondern auch für die Arbeit, die man sonst noch macht, zum Beispiel Textlernen. Eines aber wird ganz sicher passieren: Wir werden uns unglaublich freuen, dass wir uns sehen und zusammen spielen können!

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