zum Hauptinhalt

Kultur: Investieren ist seliger als subventionieren

Die Versuchung ist groß, die amerikanische Kulturpolitik in einem einzigen Satz zusammenzufassen: "Es gibt keine amerikanische Kulturpolitik." Doch das wäre wirklich zu einfach.

Die Versuchung ist groß, die amerikanische Kulturpolitik in einem einzigen Satz zusammenzufassen: "Es gibt keine amerikanische Kulturpolitik." Doch das wäre wirklich zu einfach.

Wahr ist, daß sich das kulturpolitische Engagement der amerikanischen Regierung von dem der französischen unterscheidet wie die Mickymaus vom chat hotté, dem gestiefelten Kater.Weder in Washington noch in den Hauptstädten der 50 Staaten gibt es einen Kulturminister.Soweit die großen Städte überhaupt Kulturdezernenten haben, sind es bedeutungslose Posten.

Die Mittel, die der Kongreß für kulturelle Zwecke bereitstellt, sind geringfügiger als der Etat des Pentagons für Militärkapellen.Und doch kommt es jedes Jahr, wenn der Kongreß das Budget für das National Endowment for the Arts (NEA) verabschiedet, zu einer Grundsatzdebatte über die Frage, ob der Kulturfonds ganz abzuschaffen sei.Das Ritual ist immer dasselbe.Aus den etwa 100 000 Kleinprojekten, die vom NEA gefördert werden, greifen einige christliche Zeloten zwei oder drei heraus, um ihren Widerwillen gegen die staatliche Kulturförderung aktenkundig zu machen.Unvergessen sind der "Piss Christ" des Bildhauers Andres Serrano und die sadomasochistischen Aktfotos von Robert Mapplethorpe, die vor einigen Jahren die Debatte belebten.Inzwischen ist es den republikanischen Saubermännern, die im Kongreß die Mehrheit haben, gelungen, das NEA-Budget von einst 175 Millionen Dollar auf 98 Millionen Dollar herunterzudrücken.Setzt man die Kaufkraft von Mark und Dollar gleich, so entspricht dieser Betrag ziemlich genau der Subvention, die Berlin für die Deutsche Oper aufbringt.

Und doch ist Amerika, obwohl hochnäsige Abendländer gern das Gegenteil behaupten, keine Kulturwüste.Von den acht großen Orchestern der Welt spielen fünf in Amerika.Die amerikanischen Museen brauchen sich vor den europäischen nicht zu verstecken.Amerika produziert mehr neue Theaterstücke als Deutschland und Frankreich zusammengenommen - vom Film und Fernsehen ganz zu schweigen.Dahinter stehen nicht staatliche Subventionen, sondern privates Geld.Keinem Filmemacher in Hollywood würde es einfallen, mit Beamten um milde Gaben zu feilschen.Die New Yorker Philharmoniker beziehen drei Prozent ihres Budgets aus öffentlichen Mitteln.53 Prozent werden an der Kasse aufgebracht, 25 Prozent durch Spenden, 19 Prozent durch Zinsen und Dividenden aus dem Stiftungsvermögen.Der Anteil der öffentlichen Zuschüsse am Budget der Metropolitan Opera ist noch geringer - zwei Prozent.Das Museum of Modern Art und das Guggenheim Museum erhalten von der öffentlichen Hand keinen Penny.

Ganz so unbeteiligt, wie es den Anschein hat, ist der Staat freilich nicht.Die Mäzene, die dem Metropolitan Museum und der Metropolitan Opera unter die Arme greifen, können einen Teil ihrer Zuschüsse von der Steuer absetzen.Das sponsoring hat in Amerika zwar eine lange Tradition.Doch wollen die Wohltäter auch ermuntert werden.Das zeigte sich sehr deutlich, als der amusische Präsident Reagan 1987 das Steuergesetz änderte: Bei Geschenken an Museen konnte plötzlich nicht mehr der aktuelle Zeitwert des Kunstwerks abgesetzt werden, sondern nur noch der - in der Regel weitaus niedrigere - Erstehungswert.Die Gesetzesänderung hatte für die Museen katastrophale Folgen: Der breite Strom von Schenkungen verwandelte sich in ein kümmerliches Rinnsal.Selbst Bilder, die schon als Leihgaben in Museen hingen - etwa van Goghs Porträt des Dr.Gachet im Metropolitan Museum - wurden abgehängt und von den Eigentümern versteigert.Nach dem Aufschrei der Kuratoren wurde das fatale Gesetz 1991 zunächst suspendiert und schließlich der frühere Zustand wieder hergestellt, worauf die Schenkungen sofort wieder in die Höhe schnellten.Der Vorgang demonstiert, wie intim Wohltätigkeit und Steuerrecht zusammenhängen.

Das amerikanische System hat seine Vor- und Nachteile.Zarte Pflanzen wie das Experimentaltheater und das Autorenkino haben Mühe zu überleben.Bilderstürmer wie Robert Wilson oder Peter Sellars gedeihen im Treibhaus der europäischen Subventionen weit besser als in ihrer Heimat.Doch der wache Sinne für die Wünsche des Publikums, den das Fehlen von Subventionen mächtig fördert, hat den Amerikanern eine Unterhaltungsindustrie beschert, die auf der Welt ihresgleichen sucht.Nicht einmal die gegen Importe aus Hollywood so allergischen Regierungen in Paris haben den amerikanischen Siegeszug aufhalten können.In der Epoche des Kalten Krieges hatte die United States Information Agency (USA) überall auf dem Globus Amerikahäuser gegründet, um die Welt gegen den Bazillus des Kommunismus zu impfen.In Deutschland sind von einem guten Dutzend gerade noch fünf übriggeblieben.Senator Helms, der willensstarke Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses, ist gerade dabei, die ganze USIA zu liquidieren und dem State Department zuzuschlagen.

JÖRG VON UTHMANN

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false