zum Hauptinhalt

Kultur: Iran: Der Islam ist nicht männlich

"Der Präsident der Republik muss ein Mann sein." Das soll Ajatollah Khomeini erwidert haben, als andere fanden, auch Frauen müsse dieses Amt offenstehen.

"Der Präsident der Republik muss ein Mann sein." Das soll Ajatollah Khomeini erwidert haben, als andere fanden, auch Frauen müsse dieses Amt offenstehen. Dass die Kandidaturen der 45 Frauen, die sich für die iranische Präsidentschaftswahl am 8. Juni aufstellen lassen wollten, abgewiesen würden, war also von Anfang an ziemlich sicher. Und genauso ist es nun auch geschehen.

Zwar dürfen sich nach der herrschenden Lesart der Verfassung nur Männner für das Präsidentenamt bewerben. Die Verfassung selbst legt dies aber gar nicht so eindeutig fest, sie lässt - allerdings wohl nur theoretisch - auch eine andere Deutung zu. Es steht nämlich geschrieben, nur die redschal-e sijasi dürften Präsidenten werden. Das Wort "sijasi" ist nicht strittig, es bedeutet schlicht "politisch aktiv". Auslegungssache ist der erste Begriff: Konservative Kleriker behaupten, "redschal" bedeute "Männer". Die 45 weiblichen Kandidaten sahen das anders. Sie meinen, das aus dem Arabischen stammende Wort habe die Bedeutung "Persönlichkeiten". Sie begründen dies mit dem Koran. Wann immer dort das Wort "redschal" benutzt würde, seien Männer und Frauen angesprochen. Staatsgründer Khomeini aber war anderer Meinung.

Die Frauen, die in diesem Jahr ihre Kandidatur bekannt gegeben und vergeblich durchzusetzen versucht haben, sind nicht die ersten. Bereits bei der letzten Präsidentschaftswahl vor vier Jahren kandidierten sieben Frauen. Auch sie scheiterten, aber setzten eine lebhafte Diskussion in Gang. Wichtigste Protagonistin dieser Debatte war Azzam Taleqani, die Tochter von Ayatollah Taleqani, einer der Wegbereiter der Revolution. Er starb allerdings bereits kurz nach ihrem Sieg. Obwohl selbst eine streng religiöse Frau, hat Taleqani immer offen Kritik an der herrschenden Lesart des Islam geübt.

1980, als eine parlamentarische Gesetzesvorlage eingebracht wurde, die die Zwangsverschleierung für alle Frauen vorsah, erklärte sie, dass man Frauen nicht "mit dem Bajonett" zwingen sollte, den Tschador zu tragen. Sie müssten selbst entscheiden, wie sie sich "anständig und sittsam" kleiden wollen. Der Revolution steht Taleqani durchaus kritisch gegenüber, da sie den Frauen ihrer Meinung nach nur Armut und Polygamie gebracht habe. Dabei untermauert Taleqani die meisten ihrer Forderungen mit islamischen Argumenten - beispielsweise, als sie sich im ersten nachrevolutionären Parlament für gleiche Arbeitschancen von Frauen einsetzte. Sollte kein Gesetz zur Schaffung gleicher Arbeitschancen verabschiedet werden, würde das Vertrauen in den Islam und die Regierung zerstört.

Ähnlich islamisch argumentierte Taleqani vor vier Jahren, als es erstmals um die Frage ging, ob Frauen das Präsidentenamt offenstehe. Und sie holte die Meinung wichtiger islamischer Rechtsgelehrter ein. Eine ganze Reihe von ihnen stimmte Taleqani sogar zu, aber das änderte nichts. Der Wächterrat, ein Kontrollgremium, das über die Kandidatenauswahl entscheidet, versagte den Frauen die Qualifikation. Taleqani sagt übrigens, sie habe damals nicht wirklich Präsident werden wollen, schließlich sei das ja auch im Westen meistens ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. "Aber ich wollte die Diskussion darüber in Gang setzen, es geht ums Prinzip."

Über das Prinzip zu diskutieren, hatten die Frauen schon bald wieder Gelegenheit: bei den Wahlen zum so genannten Expertenrat im Oktober 1998. Dieses Gremium besteht aus 86 Juristen des islamischen Rechts, die vom Volk gewählt werden. Für die Wahl hatten sich 396 Kandidaten beworben, doch der Wächterrat, dem auch hier wieder die Auswahl obliegt, ließ nur 167 zu. Vor allem die Reformer um den moderaten Präsidenten Chatami wurden als nicht qualifiziert für dieses Amt bezeichnet. Auch die Kandidatur von neun Frauen wurde abgelehnt - eben weil sie Frauen waren.

Wichtiger als dieser zweite Rückschlag ist jedoch die Vehemenz, mit der die öffentliche Debatte über Gleichberechtigung heutzutage geführt wird. Und dass überhaupt diskutiert wird. Allerdings muss man, um argumentieren zu können wie Taleqani, den Koran sehr gut kennen. Denn wer sich glaubhaft auf ihn berufen kann, hat in Iran bessere Erfolgschancen als eine Feministin, die auf die Menschenrechte verweist. Insofern ist es gut, dass mittlerweile auch Frauen zu Gelehrten des islamischen Rechts ausgebildet werden und die Quellen des islamischen Rechts auslegen dürfen.

Die Ausbildung der weiblichen Mullahs unterscheidet sich in nichts von der der Männer. Aber ihr Abschluss ist von geringerer gesellschaftlicher Bedeutung; er berechtigt nicht einmal zur Einnahme von Positionen, die den männlichen Absolventen offenstehen, wie beispielsweise der Mitgliedschaft im Expertenrat. Aber immerhin machen die Frauen den Männern nun ihr Monopol auf die Koranauslegung streitig.

Die Zeiten haben sich geändert; ändern muss sich auch die Interpretation des Koran: Dies ist der einfache, aber programmatische Slogan der neuen Bewegung islamischer Frauenrechtlerinnen. Die neuen Power-Frauen sind übrigens selbst ein Produkt der Revolution. Sie treten für die Rechte der Frau ein, aber mit islamischen Argumenten. Deshalb kann ihnen niemand vorwerfen, sie seien Marionetten des Westens - was ihre Erfolgsaussichten erhöht. Aber es wird wohl noch lange dauern, bis ein "redschal" endlich eine Persönlichkeit ist und nicht mehr ein Mann.

Katajun Amirpur

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false