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Scheinbar vertraut. Der israelische Agent Razi (Tsahi Halevy) und sein junger palästinensischer Informant Sanfur (Shadi Mar’i).

© realfiction

Israel-Palästina-Thriller "Bethlehem": Die Front ist überall

Agenten, Informanten, Terroristen, Profiteure: Taktik und Lügen regieren den Alltag im Westjordanland. In "Bethlehem" analysiert der israelische Regisseur Yuval Adler die kranken Verhältnisse anhand einer Ersatzvater-Sohn-Geschichte. Ein brillantes Debüt.

Irgendwo hier, wo sich die vorderasiatische Wüste fast bis ans Mittelmeer voranschiebt, muss es sein: das gelobte Land, das Paradies auf Erden, die gemeinsame Heimat für Juden und Palästinenser. Aus seinem lichtbraunen Gestein wurde Jerusalem erbaut, an seine Hänge schmiegen sich, silbern schimmernd, die Haine voll jener Gewächse, die schon in der Bibel Ölbäume heißen. Kaum aber fasst die Kamera diese Schönheit, wendet sie den Blick: nimmt einen Zaun ins Visier, Militärjeeps der Israelis, halbwüchsige Palästinenser, die mit einer Kalaschnikow und schusssicheren Westen Mutproben veranstalten. Und schon ist das Paradies nur mehr Schotter und Geröll.

Ganz in der Nähe, in Bethlehem, ist vor 2014 Jahren jener Märtyrer geboren, den die Christen Jesus Christus nennen. Und hier, im Westjordanland ein paar Kilometer südlich von Jerusalem, hat ein israelisches Kommando gerade Ibrahim in eine Falle gelockt und erschossen – jenen Anführer der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, der, sagt der Geheimdienst, durch die Organisation von Attentaten 30 Israelis auf dem Gewissen hat. Kaum sind seine Eltern am Ort des Schusswechsels eingetroffen, beginnt ein Gerangel um den Toten: Hamas-Leute betrachten Ibrahim offenbar als einen der Ihren und tragen die Leiche weg, Al-Aqsa-Leute bringen sie wütend zurück. Hat Ibrahim auch für die verfeindeten Rivalen gearbeitet? Doch jetzt ist die Stunde der Trauer und der Gebete, die frische Rechnung wird später beglichen.

Überall sind Rechnungen offen in Yuval Adlers klugem Debüt „Bethlehem“, und manchmal werden sie ruckzuck zwischendurch mit einem Mord bezahlt: zwischen Badawi (Hitham Omari) etwa, der mit dem Racheruf „Wir werden Tel Aviv in ein Massengrab verwandeln“ zum neuen Al-Aqsa-Chef aufrückt, und eigenen Leuten, denen die palästinensische Autonomiebehörde per Bakschisch-Job den Ausstieg aus dem Terror schmackhaft zu machen sucht. Oder finanziert sie den Terror, um die eigenen Köpfe zu retten, vielmehr auf stille Weise mit?

Am klarsten scheint da noch die Ansage zwischen Razi (Tsahi Halevy) und Sanfur (Shadi Mar’i): Vor zwei Jahren wurde der Agent auf den 15-jährigen jüngeren Bruder Ibrahims angesetzt, und mit der Tötung Ibrahims ist die Mission erfüllt. Eigentlich. Denn der israelische Geheimdienst hätte den Lockvogel Sanfur bei der fingierten Geldübergabe gern gleich mit erledigt, nur war Sanfur selber nicht da. Hat Razi den Jungen, zu dem er ein ersatzväterliches Vertrauen aufgebaut hat, aus dem Verkehr gezogen? Und wenn ja, warum? Steckt eine Strategie dahinter, oder zwischenmenschlich verständliche, also unverzeihliche Schwäche? Und: Ist überhaupt Raum für Zwischentöne, wenn, mit Jesus gesprochen, „eure Rede ja ja, nein nein“ sein soll? „Ken“ oder „lo“, und sonst gar nichts?

Virtuos schwenkt das Drehbuch, das der Regisseur gemeinsam mit dem muslimischen Journalisten Ali Waked schrieb, zwischen den Schauplätzen aus Verschweigen, Lüge und Verrat hin und her. Und entwirft im Mikrokosmos der Figuren mit seinen brillant agierenden Schauspiel-Neulingen eine durch Krieg und Terror zutiefst zerrissene Welt, in der auch jede Lebensrettung lebensgefährlich ist. Stets voreinander verborgene Nützlichkeitserwägungen sind es, die die Verhältnisse an jeder Front prägen – ob zwischen militanten Palästinensern und ihren vorzeigbaren Honoratioren oder den israelischen Agenten und ihren palästinensischen Informanten. Manche von ihnen tragen nur eine dreistellige Nummer, wichtigere – wie Sanfur – bringen es auf biblische Decknamen. Er ist „Esau“, Jakobs gedemütigter Zwillingsbruder.

Anfangs mag „Bethlehem“, der auf jahrelangen Recherchen basiert, wie ein ziemlich undurchsichtiger Polit-Thriller wirken. Tatsächlich liest sich der Film viel ergiebiger als Psychoanalyse der kranken israelisch-palästinensischen Gesellschaft. Seinen Suspense bezieht er vor allem aus der Dauerspannung, die mitten durch die Menschen geht, als Grundbedingung ihrer Existenz. Ergänzend lässt er sich als nicht besonders fiktionaler Gegenentwurf zu jenen Wohlfühl-Dokumentationen aus Israel begreifen, die – wie zuletzt „Dancing in Jaffa“ – vor allem die kulturelle Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern im Kleinen preisen.

Yuval Adlers „Bethlehem“ sagt lapidar: So wie dieses Land Israel mitsamt seinen bleibend unbefriedeten besetzten Gebieten funktioniert, funktioniert es nicht. Für niemanden.

In Berlin in den Kinos Eiszeit, FT Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kant und Rollberg

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