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Der kroatische Pianist Ivo Pogorelich.

© Bernard Martinez

Ivo Pogorelich in Berlin: Ein verstörender Chopin-Abend

Ivo Pogorelich war das Idol einer ganzen Pianisten-Generation. Was der Virtuose aber mittlerweile mit der Musik anstellt, gibt Rätsel auf. Wie jetzt in Berlin.

Von Keno-David Schüler

Die kroatische Klavierlegende Ivo Pogorelich inszeniert einen Chopin-Abend in der Philharmonie. Der 64-Jährige avancierte in den 80-er Jahren zum Star und hat mit Einspielungen von Ravels „Gaspard de la nuit“ oder Liszts H-Moll-Sonate Interpretationsgeschichte geschrieben. Die zukunftsweisenden Perspektiven, die der junge Geist einst auftat, kommen einem beim jüngsten Auftritt nicht in den Sinn.

Obszöne Egozentrik

Spricht Genie aus der obszön aufgeladenen Egozentrik oder erleben wir einen talentierten Pianisten im traurigen Zerrbild einstiger Größe? De facto gelingt es Pogorelich sein Chopin-Deconstructed-Programm bestehend aus op. 49, 57, 58, 60 und 61, in üblichen Dimensionen 60 Minuten, auf zwei Stunden inklusive Pause zu strecken. Dabei wird noch die Expositionswiederholung der Sonate vorenthalten. So hat man Chopin noch nicht gehört - und man möchte sie so auch nicht wieder hören.

Konzert als Klangexperiment

Pogorelich wirkt seltsam unbeteiligt, fast missmutig. Der Altmeister hat sich einen beachtlichen Katalog an exzentrischen Stilmitteln zugelegt. Aus dem Klangbrei seiner Kantilenen blitzen immer wieder gestochen scharfe Melodienoten auf. Dann ist neben der Abwesenheit rhythmischer Schärfung, der kultivierten Überzeichnung der regelmäßig explodierenden Bassregister vor allem ein bis zur Auflösung des Metrums forciertes Rubato charakteristisch.

Pogorelich liest selbstvergessen im halben Tempo vom Blatt, lauscht und probiert verschiedene Zusammenklänge. Es wäre unzutreffend von „schönen“ Momenten zu sprechen – es gibt zauberhafte Schichtungen, aber isoliert und ohne Beziehung zueinander. Chopins Musik gerät zur Karikatur.

Nur mit sich selbst beschäftigt

Überhaupt scheint Pogorelich nur mit sich selbst beschäftigt. Niemand erwartet Unfehlbarkeit. Respekt, dem Notentext wie den Zuhörern gegenüber, ist aber einzufordern. Auch wenn die Schatten des technischen Zauberers, des Idols einer ganzen Pianisten-Generation hier und da spukhaft erscheinen, bleiben die Erwartungen enttäuscht. Um es frei nach Grillparzer zu sagen: hier begrub die Klavierwelt einen reichen Besitz, aber noch viel schönere Hoffnungen. Auf dem Heimweg bleiben die Tränen – vom Gähnen.

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