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Kultur: James Bennings Langsamkeit im Zweieinhalb-Minutentakt

Vor ein paar Monaten hat ein Rasenmäher Filmgeschichte gemacht, weil er einen alten Herrn im Schuckeltempo durch den amerikanischen Mittelwesten transportierte. David Lynchs "The Straight Story" ist - unter anderem - ein Hochgesang auf die Langsamkeit.

Vor ein paar Monaten hat ein Rasenmäher Filmgeschichte gemacht, weil er einen alten Herrn im Schuckeltempo durch den amerikanischen Mittelwesten transportierte. David Lynchs "The Straight Story" ist - unter anderem - ein Hochgesang auf die Langsamkeit. Gegen den "John Deere"-Mähdrescher in James Bennings "El Valley Centro" ist Lynchs Exemplar ein Baby. Und auch in punkto Langsamkeit könnte Lynch hier noch einiges lernen. Vielleicht zwei Minuten ist der Mähdrescher im Bild. Ganz in der Ferne taucht er als Pünktchen auf, schnauft sich bis kurz vor die Kamera heran und dreht rechts ab. Zweieinhalb Minuten dauert die Einstellung. Zweieinhalb Minuten, das ist der Takt dieses Films: eine Reise, durch das 440 Meilen lange kalifornische Great Central Valley, das in 35 gleich lange unbewegte Kameraeinstellungen aufgelöst wird - meist Großaufnahmen.

Fast immer verläuft die Aktion parallell oder senkrecht zur Kameraachse, manchmal auch diagonal. Anfangs wirken manche der Einstellungen zufällig. Doch alle sind bewusst komponiert. Felder sind da zu sehen, eine Weidelandschaft mit Kühen, ein Gefängnis, eine Straßenkreuzung. Zweieinhalb Minuten sind kurz. Aber sie können lang erscheinen. Manchmal scheint gar nichts zu passieren. Aber man muss nur lange genug hinschauen, dann fängt die Wüste an zu leben. Die Augen studieren Details. Die Ohren fangen an zu hören: Stimmen aus dem Gefängnis etwa, das so tot dazuliegen scheint. Und die Gedanken gehen auf Wanderschaft: Die Dornbüsche, die der Wind da diagonal durchs Bild weht, kennen wir die nicht aus dem Anfang eines anderen Films? Und auch zwischen den Einstellungen selbst entstehen Reihungen, Ähnlichkeiten, Muster. Aus einer Landschaft taucht ein Schiff auf und zieht durch die Wiesen vorbei, wie vorher ein langer Zug. Und dann tauchen Menschen auf, Cowgirls etwa, die üben, aus fliegendem Sattel eine Ziege zu fesseln.

Irgendwann werden zweieinhalb Minuten ganz kurz. Und selbst die Menschen, die am Anfang gemeckert haben, studieren aufmerksam wippende Ölpumpen und Ampelphasen. Was kann Kino außer rühren, erschrecken und belehren? Unseren Zeitbegriff dehnen zum Beispiel. Die Aufmerksamkeit schärfen. Da ist man dann nicht unbedingt ein besserer, aber schon ein anderer Mensch. Aber dieser Film kann noch etwas: zeigen, wie aus dem Nichts Geschichten werden. Erstmal sieht "El Valley Centro" aus wie eine formale Übung. Aber das Great Central Valley ist die Region der USA, wo 25 Prozent der Lebensmittelproduktion herkommen. Und in den Bildern von Abwasseranlagen, den Riesenmaschinen, den Baumwollpflückern, kann man den großindustriellen Hintergrund dieser Landwirtschaft ahnen. Im Abspann liefert Benning neben dem Ort der Einstellungen auch Angaben über die Besitzverhältnisse: "cotton picker, Prudential Insurance, Buena Vista Lake (dry)" oder "field worker, Union Pacific, Sutter". Und immer wieder Namen wie Shell Oil, Getty Oil, Texaco. So kann man Landschaft auch beschreiben, als Auflistung von Besitz.Heute 20 Uhr (CineStar 5), Sonnabend 10 Uhr (Cinemaxx 3), 16.30 Uhr (Delphi).

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