zum Hauptinhalt
Claire (Samuel Finzi) und Solange (Wolfram Koch) in "Die Zofen".

© Arno Declair

Jean Genets "Zofen" am DT: Auf doppeltem Boden

Samuel Finzi und Wolfram Koch sind „Die Zofen“ in Ivan Panteleevs Inszenierung am Deutschen Theater.

Wie zwei Ladykracher staksen und stöckeln die Schauspieler Samuel Finzi und Wolfram Koch, zwei große Komödianten, in schwarzen Röckchen, bunten Strumpfhosen und weißen, zart dekolletierten Hemdchen in den Raum, hetzen mit Gladiolen und hohen Vasen hin und her, stellen mal einen Küchenwecker, mal ein altes Bakelittelefon an die Rampe. Ein bisschen Transenkomik, aber schon irritiert durch einen riesigen Wunderspiegel im Hintergrund. In dessen Mitte sehen wir uns selbst.

Das Theater als Spiegel des Publikums alias Gesellschaft, das allein wäre geschenkt. Indes hat Szenenbildner Johannes Schütz für Jean Genets „Die Zofen“ eine Glaswand erfunden, die neben dem Zuschauerraum des Deutschen Theaters auch noch die sonst unsichtbaren Hinter- und Seitenwände jenseits des Bühnenportals reflektiert und so die Auftritte durch sonst verborgene Bühnentüren als Bild im Bild ganz ohne Kameras präsentiert.

Alles doppelt. Doppelbödig. Denn die nach Genets eigenem Wunsch von Männern gespielten Zofen Claire und Solange spielen im Haus der abwesenden „Gnädigen Frau“ sich selbst und zugleich ihre Herrschaft. Sie probieren nicht nur die schönen Kleider an von Madame, sie drehen auch die Rollen um von Macht, Geld und womöglich Geschlecht. Sie schikanieren einander – und planen, proben den Mord an der Herrin. Ihren Gatten haben sie mit einem (fingierten) Denunziationsschreiben schon hinter Gitter gebracht.

Die Perücken und Pumps legen sie bald ab

Eigentlich ein böses Stück. Weit weg von Charlys Tante. Das bleibt es, insoweit, natürlich auch bei Finzi & Koch. Wenn sie beide bald ihre Perücken ablegen und dann die weißen Hemdchen, worauf zwei leicht ergraute Männer nurmehr in ihren Pumps und Strumpfhosen wie zwei komische Kahlschläge im offenen Raum stehen, das ist zum Lachen. Oder wenn Finzi als Claire halbnackt die Arme zum Überstreifen einer Abendrobe nach oben reckt, indes Kochs Solange ihr das Kleid von den Füßen her anzieht, bis Finzi-Claire darin wie in einer rotsamtenen Wurst feststeckt. Wieder zum Lachen.

Doch in den plötzlich wie entleerten, entgeisterten Gesichtern der Komödianten steckt dabei zugleich ein stilles Erschrecken über sich selbst. Vor allem Finzis sekundenlange Verfinsterungen im Blick, eine kurze Verzerrung des Munds oder bei Koch eine fast unmerkliche Krümmung der Dienerinnenglieder markieren die magischen Momente in Ivan Panteleevs Inszenierung. Der aus Sofia stammende einstige Mitarbeiter und Landsmann seines unvergessenen Regisseursfreundes Dimiter Gotscheff hatte vor drei Jahren bereits Becketts „Warten auf Godot“ mit Finzi und Koch als den Existenzialclowns Wladimir und Estragon im Deutschen Theater zu einem Triumph gemacht.

Keine große, aber eine interessante Aufführung

Das sollte sich jetzt wiederholen. Gerade am vergangenen Berliner Theaterwochenende: als Gegenbeweis dramatischer Schauspielkunst (tendenziell: unsterblich) wider die schon verröchelnden Moden eines wahnhaft selbstüberheblichen, selbstreferenziellen Dekonstruktions- und Installationsgefuchtels.

Vor diesem Hintergrund war am Ende im starken Beifall auch eine gesteigerte Sympathie mit im Spiel. Zu Recht. Selbst wenn es keine richtig große Aufführung geworden ist. Aber eine interessante. Als Schüler, im Jahr 1965, habe ich noch das legendäre Deutschland-Gastspiel des New Yorker Living Theatres mit Genets „The Maids“ gesehen, inszeniert von der Piscator-Schülerin Judith Malina, in der ihr Mann und Living-Mitbegründer Julian Beck die Zofe Claire gespielt hatte. Damals wirkten Männer als Frauen auf einer „seriösen“ Bühne noch als halbe Sensation, das Spiel der New Yorker war unglaublich scharf, gallig, der Wechsel der Realitätsebenen zwischen Wunsch- und Wirklichkeitsrollenspiel von einer furiosen oder gar fanatischen Imaginationskraft. Die manchmal sadistisch-sadomasochistisch mit und gegen ihre Herrschaft spielenden Frauenmänner hätten dabei auch Schwarze sein können. Der Subtext war: Revolte, Revolution.

Man spürt, wie kühn "Les Bonnes" 1947 war

Aber was wäre nun Ende 2017 der neue (alte?) Subtext? Der Anlass, die „Zofen“ – „Les Bonnes“, eigentlich „Die Dienstmädchen“ – gerade heute zu spielen? Das wird in der neuen Berliner Aufführung nicht recht klar. Nicht, weil sie zu geheimnisvoll wäre. Das wäre noch schöner. Nein, sie ist nur: von einer höheren oder tieferen Harmlosigkeit. Teilweise liegt das bereits an Genets reinem Spiel mit dem Spiel. Er, der Dichter, der als Waisenhauskind, als Soldat, Deserteur, Schwuler, als Dieb, Stricher, Obdachloser sich in vielen Gefängnisjahren und dort schon als skandalisierter, später gefeierter poète maudit im Schreiben den Aufstand und die Freiheit ins Reich des Fantastischen imaginiert hatte, er hat keine reale und keine soziale Revolte beschrieben. Oder propagiert.

Dennoch spürt man, wie kühn und avantgardistisch „Les Bonnes“, Genets zweites Stück, im Jahr 1947 war. Daran erinnert jetzt Finzis und Kochs Zusammenspiel, weil man ihnen wiederum beim ausweglosen Warten und Bangen um eine (zunächst) abwesende Herrschaft zusieht. Wie in Becketts „Warten auf Godot“, dem erst vier Jahre nach den „Zofen“ und gleichfalls in Paris entstandenen Jahrhundertdrama. Und man erkennt, wie viel Beckett, der Genet auch als Gangsterdichter bewunderte, von diesem erfahren hat.

Das Spielerische jedoch kippt hier zu selten in Gefährliche, der Komik fehlt die Dämonie. Tritt der wunderbare dritte Komödiant, Bernd Strempel als Gnädige Frau, zwischenzeitlich auf, ist auch er unter Falschhaar und Fummel von einer nackten, monumentalen Sanftheit. Um mörderische Freundlichkeit oder freundlichen Mord geht es nie. Aber vielleicht ist es ja schön, wenn der vergiftete Lindenblütentee für Madame und Claire am Ende wohl nur ein Magenbitter ist. So leben sie weiter, bis zum letzten Mahl.

Wieder am 9. und 16.12., 20 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false