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Sahar El Sherbini.

© Thilo Rückeis

Interview: „Jeder Bürger ist eine Führungsfigur“

Die ägyptische Filmhändlerin Sahar El Sherbini spricht über das Kino in Zeiten der Revolution.

Sahar El Sherbini, 40, leitet den internationalen Vertrieb der Kairoer Produktionsfirma „Al Arabia Cinema“. Die im Jahr 2000 gegründete Firma hat bereits mehr als 100 Filme produziert. Ihr erklärtes Ziel ist es, die ägyptische Filmindustrie zu internationalisieren. Wir trafen Sahar El Sherbini an ihrem Messestand auf dem European Film Market im Martin-Gropius-Bau.

Wie wirken sich die Ereignisse in Ägypten auf Ihre Arbeit bei der Berlinale aus?

Wir sind gerade angekommen und können noch nicht ausmachen, ob sich die Entwicklung positiv oder negativ auf den Vertrieb ägyptischer Filme auswirkt. Für Ägypten ist sie natürlich positiv. Und dass jetzt Ägypten und andere arabische Länder von der Welt anders wahrgenommen werden, dass man sieht, dass wir keine Terroristen und Islamisten sind, ist auch positiv. Der Westen verfolgt genau, was passiert, und ist beeindruckt. Wir haben der Welt gezeigt, dass wir ein zivilisiertes Volk sind. Jetzt ist es eine Ehre, Ägypter zu sein, und wir hoffen, dass uns die Welt uns jetzt so sieht, wie wir uns sehen.

Ägyptische Filmemacher scheinen nicht so streng kontrolliert zu werden wie etwa Filmemacher im Iran. Es hat einige sehr kritische Filme gegeben, wie „Omaret Yacoubean“, der 2006 im Berlinale-Panorama lief, oder „Microphone“ über die Untergrund-Musikszene von Alexandria.

Es gibt schon eine gewisse Meinungsfreiheit, das Problem ist eher, dass diese kritischen Filme im Inland kein Geld einspielen. Das ist reines Festivalmaterial für ausländische Vorführungen. Natürlich ist es wichtig, auf diese Weise das Bild von Ägypten im Ausland zu prägen, und umgekehrt brauchen wir ausländische Festivals und Verleiher, um diese Filmemacher zu unterstützen. Wir haben viele junge, kreative Regisseure, aber das Problem ist die ökonomische Situation des Publikums. Mit dem wenigen Geld, das sie fürs Kino haben, gehen sie lieber in Komödien und belasten sich nicht noch mit Problemfilmen. Aber das wird sich jetzt ändern, weil das Volk das Gefühl hat, am politischen Prozess teilzuhaben. Das sieht man an einem Film namens „Six Seven Eight“, der soziale Probleme anspricht und sehr gute Kinobesucherzahlen hat.

Wie wird sich nach der Revolution das Filmemachen verändern?

Es wird sich stark verändern. Durch die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Ägypten waren die Leute in den letzten Jahren nicht so kreativ, wie sie hätten sein können. Jetzt gibt es einen neuen Geist, neue Energie, daraus werden viele neue Filme hervorgehen. Das Können ist da, man braucht nur das richtige Umfeld.

Husni Mubarak ist zurückgetreten, nun liegt die Macht beim Militär.

Dem Militär zu trauen, ist unsere einzige Option, diese kritische Phase zu überwinden. Normalerweise spielt das Militär im Alltag der Ägypter keine Rolle, es schützt Ägypten vor ausländischen Aggressoren. Dass es uns jetzt vor dem korrupten Regime beschützt, ist sehr ungewöhnlich. Deswegen lieben die Leute die Armee.

Manche Beobachter waren skeptisch, was den Erfolg der ägyptischen Demonstranten anging, weil die Bewegung keine Führungsfiguren hat.

Wir brauchen keine Führungsfiguren – das ägyptische Volk führt. Jeder einzelne Bürger ist eine Führungsfigur. Es ist eben eine unkonventionelle Revolution, die muss wohl unkonventionell enden, ohne Führer. In Zukunft wird es natürlich einen brauchen, da gibt es viele Optionen. Jeder kann kandidieren, und das letzte Wort hat das ägyptische Volk.

Das Gespräch führte David Assmann.

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