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Kultur: Jeffrey Archer: Giftmord oder Meineid?

Autoren, die in ihren eigenen Stücken auftreten, sind ein gängiger Markenartikel des Welttheaters: Shakespeare, Molière, Nestroy, Noel Coward, Sacha Guitry. Autoren, die Abend für Abend einen Angeklagten mimen und auf die nach dem Ende der Vorstellungsserie eine richtige Anklagebank wartet, sind dagegen seltene Vögel.

Autoren, die in ihren eigenen Stücken auftreten, sind ein gängiger Markenartikel des Welttheaters: Shakespeare, Molière, Nestroy, Noel Coward, Sacha Guitry. Autoren, die Abend für Abend einen Angeklagten mimen und auf die nach dem Ende der Vorstellungsserie eine richtige Anklagebank wartet, sind dagegen seltene Vögel. Aber Jeffrey Archer - oder wie wir seit 1992 sagen müssen: Lord Archer - war schon immer ein Sonderfall. Dass ein Politiker Thriller schreibt und damit Millionen verdient, ist ungewöhnlich genug. Noch ungewöhnlicher ist das atemberaubende Auf und Ab seiner Karriere: Soeben noch Kandidat für das Amt des Londoner Bürgermeisters, droht ihm jetzt eine Gefängnisstrafe wegen Meineids.

Zunächst glaubte Archer, der im April 60 wird, seine Zukunft liege bei der Polizei. Aber dann entdeckte er die Reize des fund-raising. Von da war es nur noch ein kleiner Sprung in die Politik. 1966 wurde er das jüngste Mitglied im Stadtrat von Greater London. Mit 29 saß er als Abgeordneter der Tories im Unterhaus. Doch fünf Jahre danach nötigten ihn seine Parteioberen, den Sitz zu räumen: Unweise Investitionen hatten ihn an den Rand des Konkurses getrieben. Er musste sein stolzes Londoner Stadthaus und seine Gemäldesammlung verkaufen, ebenso seinen Rolls-Royce mit dem Nummernschild ANY-1. Einige klamme Jahre lang wurde die Familie von Mrs. Archer ernährt, die in Cambridge die Energie der Sonne erforscht. Ihr stellenloser Gatte nutzte seine freie Zeit, um seinen tiefen Fall zu einem Roman ("Not A Penny More, Not A Penny Less") zu verarbeiten. Das Buch schlug ein, ebenso die folgenden. Archer hatte ein unbekanntes Talent in sich entdeckt. Ende der siebziger Jahre konnte er sich wieder den fürstlichen Lebensstil leisten, an den er gewöhnt war. Auch Margaret Thatcher nahm ihn wieder in Gnaden auf. Er wurde stellvertretender Parteivorsitzender und beinahe Minister. Im Herbst 1986 schlug das Schicksal zum zweiten Mal zu. "The News of the World", eines von Rupert Murdochs Revolverblättern, berichtete, Archer habe der Prostituierten Monica Coghlan auf der Victoria Station einen Umschlag mit 2 000 Pfund überreichen lassen - offenkundig ein Schweigegeld.

Archer bestritt, die Dame zu kennen. Das Geldgeschenk habe er aus rein philanthropischen Gründen gemacht. Doch trat er von seinem Parteiamt zurück - "for lack of judgement and that alone". Als ein zweites Revolverblatt, "The Daily Star", nachstieß, Archer habe sich am Abend des 9. September in einer notorischen Absteige mit Miss Coghlan getroffen, verklagte er die Zeitung wegen übler Nachrede. "The Daily Star" wurde zu Schadenersatz in Höhe von 500 000 Pfund verurteilt.

Dieser prozessuale Triumph macht Archer jetzt zu schaffen. Denn im vergangenen Jahr offenbarte sich der Zeuge, der an dem verhängnisvollen Abend mit ihm zusammengewesen sein wollte. Der Fernsehproduzent Ted Francis gestand, er habe damals die Unwahrheit gesagt.

Archer habe ihn mit dem Köder, seinen nächsten Film zu finanzieren, zu einem falschen Alibi verleitet. Wie sich herausstellte, wurde die Falschaussage vom Gericht nicht einmal benötigt: Im Prozess korrigierte die Zeitung das Datum vom 9. auf den 8. September. Auch für diesen Abend hatte Archer ein Alibi. 14 Jahre später, am Morgen der Generalprobe zu seinem Theaterstück "The Accused", wurde Archer auf der Polizeistation von Wimbledon in aller Form über die Eröffnung eines Strafverfahrens wegen Meineids unterrichtet.

Inzwischen ist das Stück nach dem try-out in der Provinz ans Westend umgezogen, und die Londoner haben Gelegenheit, den Lord mit dem prallen Lebenslauf in Fleisch und Blut zu bestaunen. Denn die - überwiegend stumme - Titelrolle hat sich Archer selbst auf den Leib geschrieben. Mit dem Geschick des abgebrühten Profis führt er uns an der Nase herum: Gerade wenn wir glauben, das entscheidende Indiz bemerkt zu haben, präsentiert er ein anderes, das unser Urteil ins Wanken bringt. Und urteilen müssen wir: Dem Publikum ist die Rolle der Jury zugedacht. Wir werden wie Geschworene in unsere Pflichten eingewiesen, wir werden mit den Vorschriften der Strafprozessordnung vertraut gemacht, und am Schluss werden wir eingeladen, durch Knopfdruck zu entscheiden, ob Dr. Patrick Sherwood seine Frau vergiftet hat oder nicht. Die Wirkung dieses cleveren Einfalls ist nicht gerade eine Geschworenenberatung im strengen Sinn. Aber man kommt doch mit seinen Nachbarn ins Gespräch, und der jury bailiff, der Büttel, hat alle Mühe, das lebhaft diskutierende Publikum zum Schweigen zu bringen. Eine Zweidrittelmehrheit stimmte für den Freispruch des Angeklagten, worauf ein kleines, pikantes Nachspiel folgte.

Anscheinend wird Dr. Sherwood an den meisten Abenden freigesprochen. Darf Archer dies als günstiges Vorzeichen für seinen eigenen Prozess werten? Nicht immer imitiert, obwohl Oscar Wilde das Gegenteil behauptet, das Leben die Kunst. Molière starb bekanntlich im Kostüm des "Eingebildeten Kranken".

Jörg von Uthmann

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