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Wo die Muse küsst. Das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf liegt mitten in einem denkmalgeschützten Landschaftsgarten.

© picture-alliance/ dpa

Literatur: Jenseits der Schallmauer: Wie das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf von der Stasi ins Visier genommen wurde

Friederike Frach hat über die wechselvolle Geschichte von Schloss Wiepersdorf als Künstlerheim unter dem Einfluss der Kulturpolitik in der DDR eine Dissertation geschrieben, die mehr sein möchte als ein Stück Orts-, Landes- und Literaturgeschichte.

„Es war einmal ein altes Schloss ...“ So beginnt Bettina von Arnims nachgelassener Roman „Gritta von Rattenbeiunszuhaus“. Aber damit war weder das Arnim’sche Schloss Wiepersdorf gemeint, dessen „treffliche Einsamkeit“ sie nach eigenem Bekunden 1849 „glücklich“ machte, noch kann sie mit dem häuslichen Rattenvolk ihre Schriftstellerkollegen gemeint haben, die erst ein Jahrhundert später nach 1945 in Wiepersdorf Aufnahme fanden. Der Rattenvergleich – Schriftsteller als Ratten und Schmeißfliegen – stammt schließlich nicht von ihr, sondern von einem bayrischen Ministerpräsidenten aus dem Jahr 1978.

Wahrscheinlich hätte sich Bettina „ihr“ Wiepersdorf auch kaum als Dichterklause vorstellen können, nachdem sie 1823 befunden hatte: „Das Schreiben vergeht einem hier, wo den ganzen Tag, das ganze Jahr, das ganze liebe lange Leben nichts vorfällt, weswegen man ein Bein oder einen Arm aufheben möchte.“ Erst später 1849 scheint sie die Stille von Wiepersdorf mehr geschätzt zu haben. Die Schriftsteller, die nach 1945 dort einzogen – die Gästeliste reicht von Erich Arendt und Volker Braun über Anna Seghers bis Christa Wolf und Arnold Zweig – empfanden die Atmosphäre als produktiv, selbst wenn gelegentlich sowjetische Panzer aus dem nahen Jüterbog vorbeirasselten und MIG-Jäger aus Reinsdorf die Schallmauer durchbrachen. Sarah Kirsch schrieb hier, nur von einem vorbeifahrenden Wagen erschreckt, ihre Elegie „Wiepersdorf“ auf das „volkseigene Schloss, wo private Unken Kummer mir vorschrein“. Auch Volker Brauns Stück „Lenins Tod“ ist hier entstanden und Christa Koziks Drehbuch zu „Gritta von Rattenbeiunszuhaus“ für das DDR-Fernsehen.

Zum „Dichterheim“ – später auch „Künstlerheim“, „Erholungsstätte der Intelligenz“ und noch später für „Kultur- und andere Geistesschaffende“, sprich Parteifunktionäre – wurde Bettinas Schloss unter wechselnder Trägerschaft: Zunächst war dies die Deutsche Dichterstiftung des noch gesamtdeutschen Schriftstellerverbands, danach der Kulturbund, schließlich der Kulturfonds der DDR, der 2004 und mit ihm das Künstlerheim geschlossen wurde. Seit 2006 verwaltet die Stiftung Denkmalschutz das Haus als Museum und Veranstaltungsort für Konzerte, Lesungen und Tagungen, und Stipendiaten haben wieder hier einen Aufenthaltsort. Über seine wechselnde Geschichte als Künstlerheim unter dem Einfluss der Kulturpolitik in der DDR hat Friederike Frach eine Dissertation am Kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität geschrieben, die mehr sein möchte als ein Stück Orts-, Landes- und Literaturgeschichte. Sie unterbricht ihre Darstellung der Wiepersdorfer Nachkriegs- und DDR-Jahre deshalb immer wieder mit längeren kulturpolitischen Exkursen über den Formalismusstreit, den Bitterfelder Weg und das 11. Plenum, die Erberezeption der DDR und die deutsch-deutsche Politik des Wandels durch Annäherung. Im Gegensatz zur Orts- und Literaturgeschichte des Hauses bieten sie jedoch keine neuen Erkenntnisse über den Wissensstand einer Seminararbeit hinaus.

Einen interessanteren politischen Subtext liefern ihre Funde zur „inoffiziellen“ Geschichte des „volkseigenen Schlosses“ unter Regie des Ministeriums für Staatssicherheit. Demnach waren sämtliche Heimleiter der fünfziger bis siebziger Jahre inoffizielle Mitarbeiter der Stasi, die sich bei ihren IMs in Wiepersdorf mit dem Losungswort „Exotenfreunde kommen zu Besuch“ anzumelden pflegten. Eine ganze Stasitruppe war dort 1973 zu Gast, getarnt als Zirkel schreibender Arbeiter. Das „Objekt“, so befand das MfS 1976, habe künftig „eine bedeutende operative Rolle und Aufgaben zu erfüllen“; es sei „besonders für IM geeignet, die höhere Ansprüche an das Leben stellen“.

Kein Wunder, dass sich wirkliche Schriftsteller in ihrem anderen Erholungsheim Petzow wohler fühlten, weil es dort in einem ganz anderen Sinn „informeller“ zuging. In Wiepersdorf fühlten sich manche der von Friederike Frach befragten ehemaligen Gäste zuletzt wie „in einem Heim für Schwererziehbare“. Das waren die Dichter der DDR ja auch aus der Sicht der SED und des MfS. Wer waren da die Rattenbeiunszuhaus?

Friederike Frach: Schloss Wiepersdorf. Das „Künstlerheim“ unter dem Einfluss der Kulturpolitik in der DDR, Ch. Links Verlag Berlin 2012, 256 Seiten, 24,90 €.

Hannes Schwenger

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