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Zur Orientierung im Bücherwald. Literaturkritiker Denis Scheck, 53, bewertet die erfolgreichsten Sachücher.

© Hendrik Schmidt/dpa

Joschka Fischer, Ranga Yogeshwar und Michael Wolff: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Denis Scheck bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Diesmal geht es um die erfolgreichsten Sachbücher.

10) Axel Hacke: Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen (Kunstmann, 192 S., 18 €)

Was tun, fragt Axel Hacke in seinem kurzen Buch mit dem langen Titel, „wenn Lüge, Rücksichtslosigkeit und Niedertracht an die Macht drängen“? Elegant formuliert und höchst zeitgemäß erinnert uns Hacke daran, dass wir die Verrohung durch die Unhöflichkeit der sozialen Netzwerke und des politischen Populismus nicht hinnehmen dürfen, sondern sie durch die Schönheit unserer Argumente, Respekt und Höflichkeit in die Schranken weisen müssen.

9) Gregor Gysi: Ein Leben ist zu wenig (Aufbau, 583 S., 24 €)

Aus dieser Autobiografie lässt sich erfahren, wie Sprache und Denken verlässliche Pole in einem Leben auch unter bedrängenden Bedingungen sein können. Ein Mutmach-Buch!

8) Rolf Dobelli: Die Kunst des guten Lebens (Piper, 384 S., 20 €)

„Akzeptieren Sie, dass vieles vom Zufall abhängt: Gene, Herkunft, Chancen. Hadern bringt nichts, die Welt ist nicht fair“: Die Ratschläge, die der Schweizer Rolf Dobelli in seinem klugen Büchlein zur Lebenskunst erteilt, erfreuen durch Plausibilität und Vernunft.

7) Joschka Fischer: Der Abstieg des Westens (Kiepenheuer & Witsch, 240 S., 20 €)

Morgens aufwachen und aus dem Radio erfahren, dass Großbritannien die EU verlässt und Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt ist: Diese Schockmomente bilden den Ausgangspunkt im neuen Buch des Elder Statesman Joschka Fischer. Der grüne Ex-Außenminister argumentiert überzeugend, dass sich die Machtzentren der Welt im 21. Jahrhundert Richtung Ostasien verlagern und die europäischen Staaten trotz Neonationalismus allerorten enger zusammenarbeiten müssen, wollen sie nicht unter die Räder kommen. Eine lesenswerte tour d’horizon ohne Patentrezepte.

6) Navid Kermani: Entlang den Gräben (C. H. Beck, 442 S., 24,95 €)

Navid Kermani ist zu einer Reise in den ihm unbekannten Osten aufgebrochen: von Köln nach Isfahan. 60 Tage lang war er unterwegs von Polen über Litauen nach Weißrussland, er hat die Ukraine besucht und reiste dann über den Kaukasus nach Georgien, Aserbaidschan und Armenien bis in den Iran. Immer wieder landet er im Krieg. Seine Erkenntnis: „Nicht nur schießt immer die andere Seite zuerst, vermutlich in allen Kriegen. Es sind grundsätzlich auch die anderen, die hassen, während man selbst nur ein ganz normales Leben führen will, Arbeit, Familie, Sicherheit.“ Ein horizonterweiterndes Buch.

5) Peter Hahne: Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen! (Bastei Lübbe, 128 Seiten, 10 €)

So viel Geschrei, so wenig Wolle. Diese dumpfe Stammtischsuada über Flüchtlings-, Bildungs- und Kirchenpolitik lässt keine populistische Phrase aus und ist als scheinintellektuelle Anstrengung genau die Art Mogelpackung, die der Buchtitel beklagt. Das Ringen dieses HB-Männchens der deutschen Konservativen mit der Grammatik entwickelt bisweilen eine gewisse Konträrfaszination: „Lasst das Bestehende in Ruhe! Wie schön kann ein Männerchor klingen – wieso müssen Frauen dabei sein?! Oder Schützenbrüder, die bewusst keine Schützenschwestern oder Schützengeschwister sein wollen.“ Wie schön klingen wohl Schützenbrüder, die keine Schützenschwestern sein wollen?

4) Ranga Yogeshwar: Nächste Ausfahrt Zukunft (Kiepenheuer & Witsch, 400 S., 22 €)

Der 1959 in Luxemburg geborene Ranga Yogeshwar denkt in seinem wunderbar zugänglich geschriebenen Buch darüber nach, welche gesellschaftlichen Folgen die Digitaliserung für unser aller Leben haben wird. Erfreulicherweise vermischt Yogeshwar seine Analyse der epochalen Umbruchphase, die wir gerade erleben, mit autobiografischen Passagen, die etwas von seinem ansteckendem Wissensdurst und seiner Entdeckerfreude vermitteln.

3) Sun Diego alias SpongeBOZZ und Dennis Sand: Yellow Bar Mitzvah (Riva, 224 S., 19,99 €)

Ein Buch über Drogen, Gewalt, arabisch-libanesische Großfamilien, die Mafia und einen deutschen Rapmusiker, der in einem Schwammkostüm Gangsta-Rap singt und Wirklichkeit und Parodie verwechselt. Langweilig und albern.

2) Manfred Lütz, Arnold Angenendt: Der Skandal der Skandale (Herder, 286 S., 22 €)

Bertolt Brecht hat mal auf die Frage nach seinem Lieblingsbuch in den 20er Jahren die berühmte Antwort gegeben: „Sie werden lachen, die Bibel!“ Man muss eben auch gerade seine Feinde kennen. In diesem Sinn kann ich dieses Buch empfehlen, in dem der populäre Psychiater und Theologe Manfred Lütz mit Hilfe des Kirchenhistorikers Arnold Angenendt den Versuch unternimmt, die katholische Kirche von ihren schlimmsten Verbrechen weißzuwaschen. Mit guten Argumenten räumen sie einige Missverständnisse etwa über die Kreuzzüge und Indianermissionierung, Inquisition und Hexenverfolgung aus. Ihr Fazit: Alles halb so schlimm. Mein Fazit: Schlimm genug!

1) Michael Wolff: Feuer und Zorn (Rowohlt, 480 S., 19,95 €)

Im Weißen Haus regiert ein altes Kind, das weder seine Begierden noch seine Launen im Griff hat. Die Statisten: Verbrecher, Versager, Verrückte. Nur wer politisch schon vollkommen kapituliert hat, den wird Michael Wolffs Reportage nicht das Fürchten lehren.

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