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© picture alliance / Everett Colle

Jubiläum: Bipolarer Höllentrip

Das erschöpfte Selbst: Zum 50. Todestag von Sylvia Plath gibt es ihren Roman „Die Glasglocke“ in einer Neuedition.

Es war ihr Selbstmord, der Sylvia Plath zur Ikone werden ließ, beklagte ihre Tochter Frieda Hughes, als sie 2004 den berühmten, posthum mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Gedichtband „Ariel“ in jener bis dahin unbekannten vollständigen Fassung herausgab, die ihre Mutter vor ihrem Tod noch zusammengestellt hatte. In einem schwarzen Klemmhefter lag sie auf dem Schreibtisch, als Plath am frühen Morgen des 11. Februar 1963 ihren Kopf in den Backofen steckte. Die Tür zum Kinderzimmer hatte sie mit feuchten Tüchern abgedichtet. Frieda war noch keine drei Jahre alt, ihr Bruder Nicholas neun Monate. Erst acht Wochen zuvor war sie mit den Kindern in die kleine Londoner Wohnung gezogen, nachdem sie sich von Ted Hughes wegen einer Affäre getrennt hatte.

Unendlich viel ist über diesen Selbstmord spekuliert worden. Zumindest für die damals gerade in Schwung kommende Frauenbewegung stand der Schuldige fest: Ted Hughes. Schließlich hatte er sie nicht nur betrogen, sondern war der Überlegene in diesem Dichterpaar. Der zwei Jahre ältere Engländer hatte bereits einen Namen, als ihn die am 27. Oktober 1932 in Boston geborene Amerikanerin in Cambridge kennenlernte.

Nur zwei Bücher sind zu ihren Lebzeiten erschienen, 1960 der Gedichtband „The Colossus“ und, vier Wochen vor ihrem Tod, „The Bell Jar“, unter dem Pseudonym Victoria Lucas. Auch wenn die literarische Qualität ihres deutlich autobiografischen Romans außer Frage steht, wäre er ohne ihren Selbstmord wohl kaum so berühmt geworden.

Pünktlich zum 50. Todestag legt der Suhrkamp Verlag „Die Glasglocke“ in der bereits bewährten Übersetzung von Reinhard Kaiser in einer Sonderedition vor. Es ist spannend, ihn unter geänderten Auspizien noch einmal zu lesen. Die „Briefe nach Hause“, herausgegeben von Aurelia Schober Plath, die damit ihr eigenes Bild als ehrgeizige Mutter und das Bild ihrer Tochter als verzweifelte Frau korrigieren wollte, hatten mit den „Tagebüchern“, in der ersten Edition von Ted Hughes um besonders heikle Passagen gekürzt, das feministische Vorurteil bestärkt, Sylvia Plath sei an ihrer Familie und den für weibliche Kreativität ungünstigen gesellschaftlichen Bedingungen zerbrochen.

Heute reibt man sich die Augen. „Die Glasglocke“ liest sich wie ein aufgekratzter Höllentrip quer durch Höhen und Niederungen einer manischen Depression. Die innere Anspannung der Schriftstellerin ist bis in den Stil hinein zu spüren. Eben das macht seine Qualität aus. Sylvia Plath hat für ihre inneren Zustände treffende und markante Bilder gefunden. Für den Hunger nach Erfolg und Anerkennung ebenso wie für die panische Angst, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen und womöglich gerade ihres Eifers wegen das Leben zu verpassen, von dem sie wusste, dass sie es braucht, um eine große Schriftstellerin zu werden.

Deutlicher als das oft beschworene Bild vom Feigenbaum, zwischen dessen Früchten sich die Heldin nicht entscheiden kann, sticht heute jenes von der Skifahrerin ins Auge, die ihre Angst bekämpft und ohne abzuschwingen den direkten Weg ins Tal nimmt. „Ich wollte alles ein für allemal erledigen und dann fertig sein“, heißt es an anderer Stelle.

Das liest sich wie die Formel des vor lauter Optimierung „erschöpften Selbst“, in dem der französische Soziologe Alain Ehrenberg das Signum unserer Epoche sieht. So tragisch ihr Selbstmord für die Familie war, für ihren Nachruhm war er die perfekte Lösung.

Sylvia Plath: Die Glasglocke. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.262 Seiten, 22,95 €.

Meike Feßmann

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