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Ehrt einen großen jüdischen Theateremigranten: das Ernst Deutsch Theater in Hamburg.

© picture alliance / Malte Christians/dpa

Bücher von Anat Feinberg und Richard Dove: Jüdische Theateremigranten: Könige im Exil

Zwei Bücher beschreiben das Drama jüdischer Theateremigranten – und ihre Rückkehr in die deutschen Theater nach 1945.

Die wunderbare Entwicklung, die das deutsche Theater nach der Reichsgründung von 1871 bis zum Beginn der NS-Herrschaft genommen hatte, war zu einem großen Teil jüdischen Regisseuren, Schauspielern, Theaterdirektoren

zu verdanken. Die Machtübernahme durch die Nazis 1933 traf die Bühnen hart. Viele der jüdischen Künstler flohen spontan, andere wurden vertrieben . „Wir gingen wie entthronte Könige“, sagte der Autor, Dramaturg und Regisseur Berthold Viertel. Man schätzt, dass bis 1938/39 420 Bühnenschriftsteller und etwa 4000 Theaterschaffende aus Deutschland und Österreich ins Exil gingen. Sie verteilten sich auf vierzig Länder, bis Moskau, Shanghai, Australien und Los Angeles.

Jetzt wird die Rückkehr nach 1945 in zwei neuen Büchern erforscht. Die Vertriebenen wollten zurück in die Sprache, aber es gab einen Riss zwischen denen, die zurückgingen, und denen, die es sich verboten. Richard Dove hat in England Nachlässe von exilierten Schauspielern untersucht, die das Glück hatten, dort Karriere zu machen. Friedrich Valk etwa entkam 1939 und überzeugte mit neuen Rollen im Theater und Film, dass er schließlich im Old Vic Shylock und Othello spielte. Trotz eines Vertrages in Düsseldorf nach Kriegsende sah er sich dann doch außerstande zurückzukehren. Ähnlich ging es Lily Kann und Martin Miller. Den größten Erfolg hatte Lucie Mannheim, doch nach 1945 kam sie nur noch für Gastrollen nach Berlin.

201 Namen mit Kurzbiografien

Anat Feinberg stellt in ihrer großen Studie „Wieder im Rampenlicht“ über „Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945“ fest, dass einzig Gustav von Wangenheim, aus Moskau nach Ost-Berlin remigriert, seinen Kollegen optimistisch zurief: „Kommt, wir brauchen euch, wir bauen neu auf!“ Die Zeitschrift „Aufbau“ in New York druckte diesen Ruf.

Nach 1946 waren die bekanntesten (auch nicht-jüdischen) Theater-Remigranten Bertolt Brecht, Fritz Kortner, Carl Zuckmayer, Wolfgang Langhoff, Helene Weigel, Ernst Deutsch, Tilla Durieux, Ferdinand Bruckner, Friedrich Wolf, Berthold Viertel, Erwin Piscator. Feinberg nennt folgende Zahlen: Bis 1949 kehrten 40 Prozent der jüdischen Emigranten (im Alter zwischen 50 und 60 Jahre) aus 25 Exilländern zurück. Fünfzehn Prozent entschieden sich für die (spätere) DDR, die meisten blieben im Westen.

Feinberg hat Archive ausgewertet, mit Zeitzeugen, Betroffenen, Kindern von Remigranten gesprochen und sich nicht auf die Gruppe der Berühmten beschränkt. Ihr Verzeichnis der zurückgekehrten Theaterkünstler enthält 201 Namen mit Kurzbiografien, ergänzt durch 38 Namen derer, die jüdischer Abstammung waren und im „Dritten Reich“ überlebt hatten. Dazu weitere 42, die jüdischer Abstammung waren und nach 1945 im Theater und Kino der SBZ/DDR mitwirkten.

Rückkehr schwieriger als das Exil

Ihre Biografien ergeben eindringliche Beispiele der entfremdeten Existenz: Mathilde Einzig, einst ein Liebling des Frankfurter Publikums, überlebte in Palästina, hatte eine Hühnerfarm mit Restaurant, Heinz Kahnemann hatte noch im Berliner Kulturbund Theater gespielt, war nach Bolivien geflohen, gründete dort eine Imkerei. Viele kannten die Armut im Exil und hofften, mit der Rückkehr bald wieder ins Theater zurückzufinden.

Wem aber konnten sie vertrauen? In Ostdeutschland gab es Theaterdirektoren, die Remigranten oder Überlebende waren wie Fritz Wisten, Wolfgang Langhoff, Helene Weigel. Im Westen waren die Intendanzen überwiegend besetzt mit Personen, die in den Theatern des „Dritten Reichs“ tätig gewesen waren. Die Ausnahme in Dortmund bildete P. Walter Jacob, der1950 aus Buenos Aires zurückkam, wo er das einzige Exiltheater mit festem Ensemble gegründet und geführt hatte. Kurt Horwitz der in den zwanziger Jahren in Brecht-Uraufführungen spielte und in die Schweiz emigriert war, dort erstmals den jungen Max Frisch inszenierte, war in München nur fünf Jahre (1953-58) Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels. In den Ensembles drängten sich die Schauspieler der NS-Zeit. Die Remigranten spürten hinter den Freundlichkeiten Misstrauen, Neid und gar Hass, sie galten als Konkurrenz.

Für manchen unbekannteren Remigranten wurde die Rückkehr schwieriger als das Exil. Der Filmautor und Liedermacher Max Colpet sagte, es gebe kein Mitleid, kein Mitgefühl. Er hielt das zehn Jahre aus, dann ging er in die Schweiz. Auch der sympathische Ernst Deutsch brauchte lange, bis er in Nathan, im Shylock seine großen Rollen fand, die Rollen und jüdische Identität wieder zu einem Zeichen machen für die langsam fortschreitende Integration. Feinberg widmet Ernst Deutsch ein ganzes Kapitel, das diesem Erfolg, der ein Phänomen im Nachkriegsdeutschland wurde, nachspürt.

Antisemitische Reaktionen in den Theatern

Denn es fiel doch auf, dass Staatsschauspieler unter Hitler wie Erich Ponto die ersten waren, die Lessings in den NS-Jahren verbotenen Juden Nathan wieder auf die Bühne brachten. Schon am 9. Januar 1946 war die Wiederaufführung von Friedrich Wolfs „Professor Mamlock“, ein wichtiges Stück aus dem Exil. Die Titelrolle des jüdischen Professors spielte Walter Franck, der auf der „Gottbegnadeten-Liste“ Hitlers stand.

Für die Remigranten wirkte dies wie Böswilligkeit. Der Schauspieler Walter Wicclair geißelte 1966 in einem offenen Brief an Boleslaw Barlog, Intendant des Schiller-Theaters in Berlin, dessen „befremdliches Eintreten für belastete ehemalige Kulturfunktionäre“. Barlog hatte allerdings Remigranten wie Kortner im Haus, wenngleich er für den Rückkehrer Curt Bois nach überschwänglicher Begrüßung nicht mehr eintrat, als dieser antisemitische Reaktionen innerhalb des Schiller-Theaters erfuhr.

Nach einer Betrachtung der Rückkehr der beiden Schwestern Camilla und Steffi Spira widmet sich Feinberg zum Schluss Claudius Kraushaar, gebürtig in Wien, Theaterdirektor in Stuttgart, Herr im Alten Schauspielhaus, einer Privatbühne in jüdischem Besitz. Kraushaar hatte das Theater saniert und gekauft. Seine Schlüssel zum Erfolg waren einmal die Starschauspieler, die er als Gäste präsentierte, Albert Bassermann, Elisabeth Bergner, Fritz Kortner, Alexander Moissi, Heinrich George, die Dorsch und die Massary dazu. Kraushaar verstand sein Publikum, das Geschäft und wie man ein nicht subventioniertes Theater führt. Sein Spielplan bevorzugte zeitgenössische Stücke aus dem In- und Ausland, oft nach der Uraufführung an anderen Bühnen.

An Claudius Kraushaar erinnert heute nichts mehr

Mit Hitler war das zu Ende. Im Mai 1933 musste er die Spielkonzession abgeben, sein Haus zwangsweise an das Staatstheater vermieten, worauf die Einnahmen stark zurückgingen. Das 1932 auf 1,1 Millionen Reichsmark geschätzte Gebäude musste er für 460 000 abgeben. Kraushaar zog nach Wien zurück, überlebte und betrieb nach 1945 mithilfe von Anwälten die Rückerstattung seines ihm abgezwungenen Eigentums.

Anat Feinbergs eindrucksvolles Schlusskapitel „Herr K. in den Niederungen der Nachkriegsjustiz“ ist ein Exempel. Bei Kraushaars Tod 1955 war in den meisten Nachrufen weder von Enteignung noch von jüdischer Herkunft die Rede. Erst seinen Kindern aus den USA und ihren Anwälten, ist es gelungen, etwas vom Besitz ihres Vaters zu retten.

Das lange verachtete Schauspielhaus ist jetzt ein von der Stadt subventioniertes Theater in Stuttgart. Wer es besucht, dem erzählt Anat Feinberg diese Geschichte: „Als das Schauspielhaus nach einer aufwendigen Renovierung 1984 wiedereröffnet wurde, begann eine neue Ära. An das Schicksal des ehemaligen Direktors Claudius Kraushaar erinnert nichts mehr; sein Name befindet sich lediglich auf einer Tafel im Foyer des Hauses zusammen mit seinen Vorgängern und Nachfolgern.“

Anat Feinberg: „Wieder im Rampenlicht. Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945“. Wallstein Verlag, 336 S., 29 Euro.

Richard Dove: „Foreign Parts. German and Austrian Actors on the British Stage 1933-1960“. Legenda, 190 S., ca. 90 Euro

Deborah Vietor-Engländer

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