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Kultur: "Junge Akademie": Richter und Denker

Seit das universelle Denken als überholt gilt, ist die Welt der Akademiker oft öde. Naturwissenschaftler dringen immer weiter in unanschauliche Mikrowelten ein, in Gene oder Atome.

Von Caroline Fetscher

Seit das universelle Denken als überholt gilt, ist die Welt der Akademiker oft öde. Naturwissenschaftler dringen immer weiter in unanschauliche Mikrowelten ein, in Gene oder Atome. Geisteswissenschaftler produzieren gern Fußnotenlabyrinthe.

Die "Junge Akademie" nun möchte, so scheint es, an die Blütezeit des Denkens anknüpfen. Das war jene Zeit, in der Goethe sich in Sizilien mit Stein-Funden abschleppte und seine Farbenlehre formulierte oder Herder seine "Abhandlung über den Ursprung der Sprache" verfasste.

Die "Junge Akademie" an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher, Leopoldina, besteht seit Juni 2000 und hat ihren zeitlichen Horizont auf ein Jahrzehnt abgesteckt. Sie will interdisziplinär sein, sozusagen ein akademisches Schengen-Agreement ins Leben rufen. Die Mitglieder der Akademie, zwanzig junge Wissenschaftler - von Physik bis Literatur - stellen jetzt die Preisfrage 2001. Antworten darf bis Ende Dezember 2001 "jeder aus aller Welt". Der 1. Preis sind 5000 Euro.

Die Frage steckt in einer Geschichte: "Das Tor zur Hölle steht in Paris, im Garten eines Palais am Invalidendom. Der Junge fragt den alten Mann: Was ist denn das für eine komische Gestalt, die da oben mittendrin sitzt? Der alte Mann zeigt dem Jungen im Garten den vergrößerten Abguss des Denkers von Auguste Rodin: Hier siehst du ihn genauer. Der Junge schaut sich die Skulptur an. Er wundert sich: Der sitzt so gespannt da. Was hat er? - Nun, sagt der alte Mann zu dem Jungen, die Meinungen gehen auseinander. Die einen sagen, der Denker sei traurig, ein Melancholiker. Die anderen vermuten, er blicke in sich hinein, denke an das Schicksal der Welt. Noch andere verbinden die beiden Meinungen und sagen, er leide an Weltschmerz. - Der Junge setzt sich auf seinen Rucksack und versucht die Haltung des Denkers einzunehmen: Vielleicht tut ihm aber nur der Rücken weh? Vielleicht, sagt der alte Mann, ja, vielleicht hat der Denker Rückenschmerzen, doch, fügt er hinzu, die Frage ist nicht, ob der Denker Weltschmerz oder Rückenschmerz hat. Die Frage ist: Was ist es, das in uns schmerzt?"

Und jetzt dürfen Essays, Kunstwerke, Gedichte, Videos eingesandt werden, an die Jägerstraße 22 / 23 in 10117 Berlin.

Übrigens: Der Junge in der Geschichte erweist sich mit seiner Frage an den Alten als Repräsentant des postmodernen Pragmatismus. Cool. Beide denken jedoch in anthropologischen Konstanten. Das schmerzt ein wenig. Denn gerade von diesen will sich das kritische Denken lösen.

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