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Renate und Alain Lance 1997 mit Christa Wolf (von links).

© dpa/picture-alliance/Bernd Settnik

Übersetzer und Schriftsteller Alain Lance: Kaderwelsch und Warenknechte

Er übersetzte Christa Wolf und Volker Braun ins Französische, schreibt aber auch selbst. Die Literaturkolumne "Fundstücke", diesmal über Alain Lance.

Es ist wirklich ein Fundstück, in diesem Fall sogar eine Trouvaille. Als ich vor Kurzem in meinen Bücherregalen bei den Franzosen stöbere, irgendwie zwischen Perec und Houellebecq, stoße ich auf eine verrutschte dunkelblaue Broschur. Auf dem Umschlag heißt es „Gedichte in französisch und deutsch“, darüber: „Alain Lance – Und wünschte kein Ende dem Umweg“.

An den 1994 in der Edition Karlsberg im Verlag Becker Turm, Homburg/Saar, erschienenen Band habe ich nach 25 Jahren keine Erinnerung mehr und schlage ihn wahllos auf, Seite 50/51, das Gedicht „Printemps tordu“, deutsch „Schleichender Frühling“. Darin: „Die Wandschirme kahl /Verstopfte Gemeinplätze // Einer faltet sich ein / Unter das Baugerüst / Ein Tosen fahndet / Nach seiner Menge // Die Zukunft / Zwischen den Zähnen // Die ich verliere / Wenn ich singe“.

Man muss das nicht gleich völlig verstehen. Aber es hat ein lakonisches Pathos, das mir gefällt. Darunter stehen die Buchstaben „VB“. Es sind die Initialen des deutschen Übersetzers, des Dichterkollegen Volker Braun. Erst als ich ein wenig nachforsche über den Poeten Alain Lance, erfahre ich, dass die beiden als Freunde sich immer wieder wechselseitig in ihre Sprachen übertragen haben und zudem gleich alt sind. Volker Braun hatte Anfang Mai seinen 80. Geburtstag, und bei Lance, gleichfalls aus dem Kriegsanfangsjahrgang 1939, ist es im Dezember so weit.

Dass er seinen Vater zunächst nicht leibhaftig erleben und ihm erst als ausgemergeltem Heimkehrer aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager wie einem Fremden begegnen konnte, hat Lance so sehr verletzt wie später auch neugierig gemacht. Auf das Volk und die Kultur der feindlichen Eindringlinge von jenseits des Rheins. Er verbringt als Schüler in den 50er Jahren einen Sommer in der ihn teils provinziell abschreckenden, teils romantisch anziehenden Hölderlinstadt Tübingen und schreibt dort sein erstes Gedicht – so berichtet Lance in seinem kleinen Erinnerungsbuch „Deutschland, ein Leben lang“ (übersetzt von Frauke Rother, Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2012, 154 Seiten, 17,90 €).

Hierzulande noch weitgehend unbekannt

Später zieht es Lance auch in den zweiten deutschen Staat. Sein in Paris begonnenes Germanistik-Studium setzt er 1962 in Leipzig fort, hört dort an der Karl-Marx-Universität im Hörsaal 40 die Vorlesungen des legendären Hans Mayer (vor dessen Übersiedelung in den Westen) und schleppt eine 40 Kilo schwere Kiste mit deutschen Büchern nach Frankreich zurück. Die Zeit in der DDR legt auch den Grundstein zu den Freundschaften nicht nur mit Volker Braun, auch mit Christa Wolf oder Franz Führmann, die er ebenso ins Französische übersetzt wie später etwa Romane von Ingo Schulze (teilweise zusammen mit seiner Frau Renate Lance-Otterbein). Wesentlich sind dann ab 1985 seine Jahre als Leiter des Französischen Kulturinstituts in Frankfurt/Main, danach in Saarbrücken und bis 2004 schließlich die Direktion des Pariser Literaturhauses.

Volker Braun schreibt im Nachwort zu „Deutschland, ein Leben lang“: „Es ist ein Glück, durch einen Confrère in einen anderen Kulturkreis lanciert zu sein.“ Wie schön die Liaison zwischen den Sprachen und Poeten funktionieren kann, zeigt auch die von Alain Lance und Michael Hohmann herausgegebene Anthologie französischer und deutscher Gedichte „Achterbahn. Le grand 8“ (Wallstein, Göttingen 2017, 152 S., 14,90 €). Darin sind zweisprachig acht Lyriker*innen vertreten, etwa Claude Adelen, Hélène Sanguinetti, Marion Poschmann und David Wagner.

Doch zurück zu Alain Lance, der trotz zahlreicher Lyrik- und Prosabände in Frankreich und Preisen im Namen von Tristan Tzara oder Guilleaume Apollinaire hierzulande noch immer weitgehend unbekannt ist. Eine größere neue Auswahl von Lance-Gedichten wäre jetzt dringlich zu wünschen. Einst hatte Alain Lance „An die Freunde im Osten“ manches geschrieben, was sich im Jahr 30 nach dem Mauerfall mit frischen Augen liest. Das Warten auf die Utopie oder die Realität, und man tauschte „Texte und Flüssigkeiten / Während während während /Kaderwelsch und Warenknechte“. Welch ein Wortpaar!

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