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Kultur: Käfig der Sehnsüchtigen

KUNST

Es könnte der Blick einer Raubkatze sein, die sich an die Zivilisation heranpirscht. Hinter Gestrüpp ragen Hohenschönhauser Plattenbauten auf. Unkraut und Architektur halten sich auf sechs Großfotos die Waage, formal jedenfalls. Doch das Gleichgewicht trügt. Der Bagger, nicht die Natur, behält stets die Oberhand in den Landschafts- und Architekturbildern von Sergio Belinchón . Drei Zyklen des Künstlers, der 1971 in Valencia geboren wurde, sind im Künstlerhaus Bethanien zu sehen (Mariannenplatz 2, bis 7. März; Mittwoch bis Sonntag 14-19 Uhr).

Belinchóns Fotos von Berliner Retortenarchitektur oder von Baugittern, die im Gras herumliegen, erwecken Misstrauen. Denn sie sind trügerisch schön. Belinchón lässt sie im goldenen Licht einer fragwürdig gewordenen Romantik erstrahlen. Ähnlich ernüchternd wirken auf den zweiten Blick die vorbeiziehenden Nebelschwaden auf einer Video-Großprojektion.

Was zunächst wie eine Symphonie der Grautöne erscheint, entpuppt sich erst nach einer guten Weile als Abgase, denn der Rauch verhüllt minutenlang den Industrieschlot, aus dem es qualmt. Die Einstellung gehört zu einem filmischen Berlin-Porträt, in dem auch die Raubkatzenkäfige des Tierpark Friedrichsfelde zu sehen sind, die es dem Spanier besonders angetan haben. Denn er zeigt sie auch in einem Ensemble fotografischer Kleinformate: zehn vergitterte Räume, einander täuschend ähnlich, nur im farbigen Kachelmuster zu unterscheiden. Belinchón benutzt hier das serielle Prinzip der Moderne – und führt dessen fatale Auswirkungen auf das Kreatürliche vor. Die Bewohner, zwei Panther, kommen buchstäblich nur am Rande vor und rühren doch den Betrachter - wie Rainer Maria Rilkes „Panther“ mit seinem müdgewordenen Blick.

Jens Hinrichsen

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