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Kultur: Kanzler in der Krise?: Der Ausputzer

Theorie ist trocken, aber manchmal trotzdem tröstlich. Am Ende dieser Woche wird Bundeskanzler Gerhard Schröder in eine Maschine der Flugbereitschaft steigen und nach Stockholm jetten.

Von Robert Birnbaum

Theorie ist trocken, aber manchmal trotzdem tröstlich. Am Ende dieser Woche wird Bundeskanzler Gerhard Schröder in eine Maschine der Flugbereitschaft steigen und nach Stockholm jetten. Über "Gutes Regieren" will ein gutes Dutzend Staats- und Regierungschefs in Schwedens Hauptstadt knapp zwei Tage lang sinnieren. Dem Gast aus Deutschland wird der Kurzausflug ins Unverbindliche gerade recht kommen. Denn mit der Praxis hapert es daheim gerade wieder mal ein bisschen. Fast genau ein Jahr vor der Bundestagswahl geht Schröder ziemlich defensiv in die Haushaltswoche - jene vier Tage im Parlament, in denen die Opposition die Beratungen der Etats von Kanzler und Ministern zum Anlass für die Generalabrechnung nimmt. Dass es um das Ansehen der Regierung nicht zum Besten steht, wissen die führenden Koalitionäre selbst: Als "Katastrophe" hat SPD-Fraktionschef Peter Struck gerade erst in der Klausur des Fraktionsvorstands das eigene Erscheinungsbild bezeichnet.

Das galt zwar zuvörderst Rudolf Scharping, der Ansehen und Amt zu verplanschen drohte. Aber Struck hat auch anderes im Blick: Die Mazedonien-Abstimmung und ihre Folgen, den leise vor sich hin brodelnden Vulkan namens Gesundheitspolitik, die - diesmal dank der Eskapaden des Verteidigungsministers - öffentlich noch kaum richtig wahrgenommene Gefahr einer schweren Koalitionskrise über Otto Schilys Zuwanderungspläne. Und all dies vor dem Hintergrund einer schwächelnden Konjunktur, wieder steigender Arbeitslosenzahlen, ungewisser Börsen-Entwicklungen - was Wunder, dass sich eine gewisse Übellaunigkeit breit macht. Trotzdem verblüfft es auch die Opposition, wie dünnhäutig die Schröder-Truppe nach wie vor auf Gegenwind reagiert. Wann hätte je, fragt ein CDU-Spitzenmann, ein Fraktionschef Wolfgang Schäuble öffentlich die eigenen Leute bedroht, wie es der SPD-General Franz Müntefering mit den 19 Mazedonien-Abweichlern getan hat? Im stillen Kämmerlein zusammenstauchen - nun gut; aber vor aller Augen? Andererseits - gerade Oppositionsleute mit langer Regierungserfahrung kennen aus eigener Anschauung das Phänomen des trüben dritten Herbstes. Die wichtigsten Reformvorhaben der Legislaturperiode sind erledigt und im Bewusstsein des Publikums zum Alltag geworden. Ins Blickfeld geraten jetzt die Probleme, die ungelöst weiter schwelen. Doch die Zeit für neue Großvorhaben wird knapp; nach den Weihnachtsferien beginnt der Wahlkampf.

Eine undurchsichtige Gemengelage - so gar nicht nach dem Geschmack des Machers Schröder. Beispiel Scharping: "Er würde ja gerne durchgreifen ..." beginnen in diesen Tagen viele Gespräche über Schröders Haltung zum umstrittendsten Vielflieger der Nation. Aber Schröder, berichten Leute, die den Kanzler auch intern erleben, sieht sich nicht nur durch sozialdemokratische Loyalitäten gehindert, dem Minister einfach den Laufpass zu geben. Im Kalkül spielt auch die Frage eine Rolle, ob nicht ein Nachfolger auf mittlere Sicht noch mehr Probleme verursacht. Scharping ist an sein öffentliches Credo gebunden, die Bundeswehr-Reform lasse sich auch mit geschrumpftem Wehretat umsetzen. Ein Neuer auf der Hardthöhe würde dem Finanzminister unweigerlich auf die Kasse rücken, die Hans Eichel doch so sorgsam als den wichtigsten Aktivposten der Regierung hütet.

Zweites Beispiel: Gesundheit. Dass die neue Ministerin Ulla Schmidt (SPD) außer Absichtserklärungen noch nicht viel produziert hat, liegt nicht nur an ihr, sondern auch an den Tücken des Objekts. Mit einfachen Ideen, mit großen Würfen lässt sich in diesem komplizierten, von mächtigen Lobbys bevölkerten Feld nichts ausrichten. Darin aber steckt eine beträchtliche Gefahr. Die jüngste Kassen-Beitragserhöhung hat nur zu deutlich vorgeführt, wie wehrlos die Regierung Entscheidungen Dritter ausgesetzt sein kann. Droht der Ärger hier wenigstens nur latent, ist er in einem dritten Feld schon akut: Zuwanderung. Der Vorgang ist insofern mit dem Fall Scharping verwandt, als auch hier Politik, Symbolik und Psychologie untrennbar verwoben sind. Es gibt sogar eine direkte Verbindung: Schröder, berichten Teilnehmer der ergebnislos gebliebenen Koalitionsrunde, habe ausdrücklich unter Hinweis auf den Casus Rudolf den Grünen klarzumachen versucht, dass er sich nicht auch noch mit dem Innenminister anlegen wird. Die Grünen, umgekehrt, lassen sich von ihrem Ex-Parteifreund Otto Schily nun schon gar keine Herzenspositionen abhandeln. Doch Vertagen, das wissen beide Koalitionäre, ist auch keine Lösung. Die Drohung der Union mit einem Zuwanderungswahlkampf "nehmen wir alle sehr, sehr ernst", sagt ein Spitzen-Koalitionär.

In dieser Woche kommt das alles auf die Tagesordnung. Gelöst wird nichts - außer, so oder so, dem Fall Scharping. Schlimmer wird es aber auch nicht. Noch ist ein bisschen Zeit bis zur nächsten Mazedonien-Abstimmung, bis zur Kabinettssitzung am 26. September, zu der der rot-grüne Zuwanderungsentwurf fertig sein soll. Und wenn Schröder keinen schlechten Tag erwischt, dann wird er am Mittwoch in der Bundestagsdebatte über den Kanzler-Etat sogar wieder ein bisschen Stimmung gutmachen. Reden kann er nämlich.

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