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Kultur: Katz und Maus

Kafka und Kill Bill: Der koreanische Thriller „Old Boy“, in Cannes bejubelt, schwört blutige Rache

Die Zelle. Grausige braun gemusterte Tapete. Eine Latrine, kaltgrün ausgeleuchtet. Ein Fensterchen, das nur ein Bild ist: blauer Himmel, eine Mühle in der Ferne. Die Stahltür und untendrin die Klappe für die Fertigkost. Ein Fernseher, nicht zu vergessen ein Fernseher, der hält dich auf dem Laufenden. Ab und zu strömt Nervengas, damit du schläfst. Damit du aufhörst, dir die Knöchel an der Wand blutig zu schlagen, an der braun gemusterten Wand. Damit du aufhörst, den Kopf durch die Türklappe zu zwängen, bevor ein Stiefel dich zurück in die Zelle tritt.

Die Freiheit. Sie ist das Dach eines Hochhauses, Gestrüpp wächst, Lüftungsrohre rechts und links, unten tost der Verkehr. Sie ist ein Lebensmüder, den du da oben vom Sprung abhältst mit deinen knöchelvernarbten, eisern stark gewordenen Händen. Sie ist ein benommenes Taumeln durch die Stadt, und plötzlich drückt dir ein Stadtstreicher Handy und gut gefüllte Brieftasche in die Hand. Oder du sitzt in einer Sushi-Bar, und das Mädchen, das den rohen Fisch zurechtschneidet, lächelt dich an und ist schön. So könnte das Leben doch neu anfangen, nach 15 gestohlenen Jahren.

Doch was, wenn alles eine Falle ist, wenn auf die Zelle nicht die Freiheit folgt, sondern eine subtilere, furchtbarere Form der Gefangenschaft? Dann gibt es – der Film ist noch keine zehn Minuten alt – kein Entrinnen mehr, dann ist der Zuschauer ganz und gar umschlossen von „Old Boy“. Mit dem koreanischen Geschäftsmann Dae-su (Min-sik Choi) ist er gefangen, ohne zu wissen warum, und mit ihm ist er plötzlich seltsam und gefährlich frei, ohne zu wissen warum. Und irgendwann wirst du die große, selbstquälerische Rache des bis zum Schluss gepeinigten Mannes wie mit seinen eigenen Augen sehen.

„Old Boy“ von Chan-wook Park ist ein Schock, von Anfang an. Die Geschichte des Mannes, dem der Mord an der eigenen Frau angehängt wird, dem die Vergangenheit und, wie sich bald zeigt, auch die Zukunft systematisch ausradiert werden soll, vereint das asiatische Gewaltkino mit Kafkas „Strafkolonie“, den Action-Thriller mit den Verzweiflungen der griechischen Sagenwelt, die Bilderoper mit der unerbittlichen Strenge einer philosophischen Selbstbefragung. „Wenn sie mir gesagt hätten, dass es 15 Jahre sind, wäre es dann leichter für mich gewesen oder nicht?“ – „Wenn ich mich gerächt habe, werde ich wieder der Alte sein können?“ – „Die Frage ist nicht: Warum wurde ich eingesperrt? Sondern: Warum wurde ich freigelassen?“

Immerhin auf die letzte Frage gibt der Film eine Antwort, in Form eines klassisches Kino-Duells. Täter gegen Opfer, Böse gegen Gut, Besitzer des Privatgefängnisses gegen Marionetten-Sträfling, scheinbar endlich frei. Wenn du binnen fünf Tagen herausfindest, warum ich dich 15 Jahre gefangen hielt, sagt der smarte Peiniger Woo-jin (Ji-tae Yoo), dann töte ich mich. Wenn nicht, bringe ich alle Frauen um, die du jemals geliebt hast und liebst. Deal? Deal.

Eine Frau, die Dae-su zu lieben beginnt, ist die junge Mido (Hye-jung Gang), die ebenso schöne wie rätselhafte Sushi-Verkäuferin – und ohne diese alsbald zwischen zwei Opfern vorsichtig anhebende Liebe wäre der Film kaum auszuhalten. Weniger wegen seiner wenigen, allerdings drastisch gezeigten körperlichen Grausamkeiten, sondern wegen der archaischen Lust am Seelenquälen, mit der der Gefängnisherr den Selbstbehauptungswillen seines Menschenspielzeugs namens Dae-su planmäßig zu vernichten sucht. Mehr darf man von „Old Boy“ nicht verraten: nicht die perfide Auflösung des Rätsels und auch nicht das Happyend, eines der bewegendsten und schrecklichsten, die seit langer Zeit im Kino zu sehen waren.

„Old Boy“, in Cannes starker zweiter Sieger hinter Michael Moores „Fahrenheit 9/11“, wird mit Werken von David Lynch, David Fincher oder Brian de Palma verglichen. Dabei ist er, in der Strenge seiner Komposition, in der ökonomischen Wucht seiner Gewaltbilder und der bohrenden Konsequenz seiner existenziellen Fragestellungen zutiefst asiatisch: das herausragende Werk des Filmlandes Korea, das ohnehin das Kino der Welt erleuchtet wie kaum ein anderes.

Nach „Sympathy for Mr. Vengeance“– der Film lief vergangenes Jahr im Forum der Berlinale – ist „Old Boy“ der zweite Teil einer Rache-Trilogie Chan-wook Parks. „Sympathy for Mr. Vengeance“, die blutige Geschichte um einen jungen Taubstummen, der seiner kranken Schwester mit kriminellen Mitteln eine Ersatzniere beschaffen will, mündet dem Regisseur zufolge in eine „Rache, die nur Verderben nach sich zieht“. In „Old Boy“ dagegen führe sie, als Motor der Katharsis, zur „mentalen Gesundheit des Helden“. Finsteres Glück: Der Leidensweg des Dae-su führt von der Gefangenschaft des Unwissens in die Qual der Erkenntnis, es sei denn, ein größerer Gott als sein übermächtiger Feind schenkt ihm Gnade. Dem dritten Teil der Trilogie fieberzittern wir schon heute entgegen.

In Berlin in 12 Kinos

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