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Kultur: Kein Platz für Zufall und Spontaneität

european art concrete zeigt mit Max Bill, Camille Graeser und Richard Paul Lohse drei Vertreter konkreter Kunst aus der SchweizVON RONALD BERGSeit sich zu Beginn dieses Jahrhunderts das Geistige in der Kunst vornehmlich als Abstraktion äußerte, gibt es darunter eine Spielart, die die Ratio hauptsächlich durch Quadrate, Kreise und andere geometrische Formen versinnbildlicht.Die zweite Generation dieser Art Konstruktivismus aus Fläche, Linie, Raum und Farbe, die nach dem Zweiten Weltkrieg reüssierte - immerhin die Zeit des logischen Positivismus, von beginnender Kybernetik, von generativer Transformationsgrammatik und Informationsästhetik - , nannte man eingedenk Theo von Doesburgs Manifest von 1930 "konkrete Kunst".

european art concrete zeigt mit Max Bill, Camille Graeser und Richard Paul Lohse drei Vertreter konkreter Kunst aus der SchweizVON RONALD BERGSeit sich zu Beginn dieses Jahrhunderts das Geistige in der Kunst vornehmlich als Abstraktion äußerte, gibt es darunter eine Spielart, die die Ratio hauptsächlich durch Quadrate, Kreise und andere geometrische Formen versinnbildlicht.Die zweite Generation dieser Art Konstruktivismus aus Fläche, Linie, Raum und Farbe, die nach dem Zweiten Weltkrieg reüssierte - immerhin die Zeit des logischen Positivismus, von beginnender Kybernetik, von generativer Transformationsgrammatik und Informationsästhetik - , nannte man eingedenk Theo von Doesburgs Manifest von 1930 "konkrete Kunst". Die Konkreten hatten vor allem in Zürich ein starkes Standbein.Die Galerie Heinz Teufel, spezialisiert auf konkrete Kunst und nun unter dem betonierenden Namen "european art contrete" als Zwischennutzer in die noch nicht vermieteten Büroklötze an der Friedrichstraße gezogen, bringt gegenwärtig die drei Schweizer Protagonisten dieser Kunstauffassung, Max Bill, Camille Graeser und Richard Paul Lohse, in einer eindrucksvollen Ausstellung zusammen. Die Werke dieser Künstler wollen mit Mimesis, Symbol, Gestik oder Tendenz nichts zu tun haben.Statt dessen findet man hier Formalien, die sich geistigen Operationen verdanken.Das Bild, das als Ergebnis dieser Gedankenarbeit herauskommt, ist eine Konstruktion, die keinerlei Platz läßt für irgendwelche Zufälle oder Spontaneitäten.So sind die zwei übereinandergeschobenen Quadrate in der Siebdruckmappe von Max Bill, deren sich überschneidende Dreiecksflächen je verschiedenfarbig gefaßt sind, keineswegs nur etwas aus dem Lot geraten, sondern verhalten sich im pythagoräischen Verhältnis 3:4:5.Die Abfolge der Farben in den acht Blättern regelt sich nach einer sukzessiven Logik, die die Farben von Innen und Außen durchspielt.Die "Transcolorationen" genannte Mappe kostet bei einer Auflage von 120 Exemplaren 16 000 DM. Ähnlich ist das Konstruktionsprinzip bei Richard Paul Lohse, etwa in seinem Ölbild "Bewegung um die Achse" (300 000 DM).Das quadratische Bild ist in vier gleichgroße Farbfelder unterteilt.Ein schmales Segment dieser Flächen, das jeweils im Zentrum des Bildes mündet, ist farbig ein wenig anders gehalten, so daß der Eindruck einer Bewegung erzeugt wird, zumal die Abfolge der Farben um die zentrale Achse mit dem Farbspektrum korrespondiert, immer im Wechsel von reiner und aufgehellter Farbe.Die dazugehörige Entwurfskizze zeigt, daß das Bild auf einem modularen Raster basiert, womit es im Grunde als Code bereits präexistiert hat.Die 17 Jahre später fertiggestellte Ausführung von 1969 in traditioneller Ölmalerei ist im Grunde nur eine Art von Interface avant la lettre. Camille Graesers frühestes Bild aus dem Jahr 1944, die "Zentrische Kreuzung" (75 000 DM), läßt in seinen relativ freien Formen noch den Werbegrafiker erkennen.Zwar hatte sich Graeser hier schon von der gewundenen Linie oder Kontur verabschiedet, aber die geraden, sich überschneidenden Farbbahnen auf leuchtend gelbem Grund mit den grünen Einsprengseln sollten erst später einer unerbittlichen Ordnung weichen. Wie für Max Bill und Richard Paul Lohse ist auch für Camille Graeser die Ordnung die zentrale Metapher des Schaffens.Bei Graeser äußert sich das Suchen nach Ordnung beispielsweise in der Pinselzeichnung "Heitere Musik der Farbe" von 1948 in einer Art schematisiertem Farbakkord, in dem die "Stimmen" durch Farbquadrate und schwarze Kreise in räumliche Beziehung zueinander gesetzt werden.Und so ist selbst die vermeintliche Störung der Ordnung durch "Dislokation", so der Titel eines großen Acrylgemäldes von 1968/71, wo ein blaues Quadrat einfach aus der Reihe seiner grünen, gelben und roten Nachbarn tanzt, um sich in die untere leere, weiße Bildfläche zu setzen, nichts als eine Wiederkehr der Ordnung in anderer Konstellation, eingepaßt und ausgemessen, um dem Bild seine Statik zu bewahren. european art concrete, Friedrichstraße 194-199, bis 30.April; Montag bis Freitag 10-19 Uhr, Sonnabend 10-15 Uhr.

RONALD BERG

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