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Kultur: Keine Ausnahme ohne Regel

„Kira“-Regisseur Ole Christian Madsen über Dogma und die Lust aufs Extreme

Fassbinder wollte mit seinem Werk ein Haus bauen: mit einem Film den Keller, mit anderen dessen Wände und Fenster, das Dach. Welcher Teil wäre „Kira“ für Sie?

Die Tür. Ich lernte, bis wohin man die Schauspieler treiben muss, um die richtige Atmos phäre zu erzeugen. Diese extreme Form der Zusammenarbeit will ich auch in meinem nächsten Film fortsetzen – egal was für einer das sein wird.

„Kira“ hat das Original-„Dogma 95"-Zertifikat. Warum unterwerfen Sie sich so viel später noch immer dieser Selbstbeschränkung?

Mein Film war nur im Sinne der von Dogma geforderten Beschränkungen machbar: Die Geschichte hatte ich zwar schon länger in der Schublade, aber ich wusste, dass der Stoff mit dem üblichen Produktionsapparat nicht zu finanzieren gewesen wäre. Ich brauchte die Freiheit von kommerziellen Zwängen - und habe sie auch sehr genossen. Neuerdings kann übrigens jeder einen Dogma-Film drehen, denn das Kopenhagener Sekretariat hat sich im Juni aufgelöst und vergibt keine Zertifikate mehr. Dogma ist selbst zu einem Genre geworden.

Auch ein Symptom dafür, dass die strengen Regeln als übertrieben empfunden wurden?

Viele empfinden Dogma als Einengung. Aber die haben das ganze Projekt missverstanden. Kreativität ohne Begrenzung ist unmöglich. Regeln setzen Ideen überhaupt erst frei. Ein film noir zum Beispiel arbeitet mit genauen Vorgaben, aber dabei sind einige der besten Filme der Welt entstanden. Man kann die Regeln brechen, aber man muss wissen, dass man sie bricht.

Und, wie haben Sie sie in „Kira" gebrochen?

Gut, Lars Mikkelsen, der Hauptdarsteller hat einen so schlechten Kleidergeschmack, dass er immer in Hippie-Klamotten herumläuft. Also habe ich ihn losgeschickt, sich einen schicken schwarzen Anzug zu kaufen - das verstößt gegen die Regeln, da keine zusätzliche Dekoration oder Kostüme erlaubt sind. Im dänischen Original heißt der Film „Eine Liebesgeschichte“, der deutsche Titel rückt aber die Hauptdarstellerin Kira in den Mittelpunkt.

Ursprünglich sollte der Film vor allem von Kira erzählen: von ihrer Unsicherheit im Alltag nach der Rückkehr aus der Psychiatrie und ihrer ständigen Angst, wieder „den Verstand zu verlieren“. So gab es viele Szenen mit ihr alleine, während Mads nur als ihr Gegenspieler wichtig war. Dann aber habe ich gemerkt, dass der Stoff beide Darsteller als vollwertige Charaktere brauchte.

Weil es eine Liebesgeschichte ist?

Genau. In „Kira“ geht es nicht in erster Linie um Krankheit oder Verrücktsein, sondern um die Kommunikation zwischen Mann und Frau, also um Liebe. Bei den Dreharbeiten haben wir lange diskutiert, ob wir überhaupt eine Erklärung geben wollen für Kiras Trauer. Ich persönlich habe sie gebraucht, aber wichtiger ist, was der Film selbst erklärt: Kira will sich wieder in die Familie eingliedern, ihrem Mann und ihren Kindern zur Seite stehen, aber sie scheitert, da die beiden unfähig sind, miteinander zu reden. Letztlich stehen Kiras Ausbrüche für den Versuch, eine verlorene Liebe zurückzugewinnen – auch wenn sie damit die Beziehung bis an die Grenzen des Erträglichen treibt.

Gäbe es nicht sinnvollere Formen, eine Partnerschaft zu retten?

Eine Beziehung, die nur auf den Verstand setzt, verliert ihre Dynamik. Einer der beiden sollte immer wieder über die Stränge schlagen. Wenn man immer sensibel ist und sich korrekt verhält, kann die Leidenschaft verloren gehen. Liebe muss man unablässig herausfordern, ja überfordern.

Mit dem Risiko, dass man dann auch die Zuschauer oder die Schauspieler überfordert?

Nun, da ich mit den beiden Hauptdarstellern schon bei meinem TV-Mehrteiler „The Spider“ zusammengearbeitet habe, wusste ich einiges über sie. Außerdem ist Stine Stengade meine Frau, so kenne ich sie ganz gut. Sie spielte schon damals extreme Gefühlslagen sehr überzeugend, und auch diesmal hat sie einen Katalog von Bildern und Gefühlen zusammengestellt, die sie in ihrem Leben erfahren hat. Aber es stimmt schon, einige Male sind wir an den Punkt gekommen, wo uns der Film auch persönlich zu viel wurde.

Wenn Sie die Darsteller schon vorher so gut kannten, lassen sich die fiktiven Figuren noch von den realen Personen trennen?

Nein, ich wusste ja von Anfang an, daß Lars Mikkelsen und Stine Stengade die Hauptrollen spielen sollten. Von daher ist all das, was ich über sie und ihr Privatleben wusste, ohnehin so weit in das Drehbuch eingeflossen, dass die Figuren und ihre Darsteller nicht mehr eindeutig zu trennen sind.

Kann man dafür dann überhaupt noch ein Drehbuch schreiben?

Der Stoff hat uns vorangetrieben und uns gezwungen, ihn immer wieder umzuschreiben. Es war sehr wichtig für mich, offen zu bleiben, denn die Neugier der Schauspieler aufeinander ist das Kapital dieses Films.

Das Gespräch führte Stefanie Müller-Frank.

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