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Kultur: Kinderverschwörung

Im Kino: Julianne Moore in „Die Vergessenen“

Man ahnt es, aber das macht es nicht besser: Auf den Augenschein ist kein Verlass. Und so beginnt „Die Vergessenen“ als klassischer Suspense-Thriller: Telly Paretta (Julianne Moore), hat ihren neunjährigen Sohn Sam vor 14 Monaten bei einem Flugzeugunglück verloren, und immer noch schaut sie jeden Tag seine Fotos an, geht zum Spielplatz im Park und zum Therapeuten, versucht auch tapfer, ihre Trauer mit Arbeit zu bekämpfen. Alles normal, denkt man, Trennungsschmerzen dauern lange, und Telly ist auf dem richtigen Weg. Aber dann sind eines Tages die Fotos ihres Kindes aus dem Album verschwunden, auf dem Video sind nur Streifen zu sehen und die gerahmte Fotografie auf der Kommode zeigt ein Paar statt einer Kleinfamilie. Schlimmer noch: Ihr Mann Jim verleugnet, je einen Sohn gehabt zu haben, und Dr. Munce bestätigt ihn: Sie habe einen Schock erlitten, nachdem ihr Sohn kurz nach der Geburt gestorben sei und lebe seit nunmehr zehn Jahren in einer Scheinwelt.

Telly flieht zu dem einzigen Menschen, dem sie in dieser Lage vertraut: dem Vater eines kleinen Mädchens, das bei dem gleichen Flugzeugabsturz ums Leben kam wie ihr Sohn. Aber jetzt will er plötzlich von einer Tochter nichts wissen. Telly zwingt ihn, deren Namen auszusprechen: Lauren. Und damit gewinnt sie einen Verbündeten im Kampf gegen das Vergessen der Kinder, an dem die Polizei, das FBI und noch höhere Mächte beteiligt sind.

„Die Vergessenen“ spielt souverän auf der Klaviatur der Suspense- und Schockeffekte vor dem Hintergrund eines Weltverschwörungsplots, und es entspricht ganz und gar den Regeln des Genres, dass man von Anfang an keine Sekunde an der geistigen Zurechnungsfähigkeit Tellys zweifelt, wohl aber an der ihres sozialen Umfeldes. Allerdings setzt Julianne Moore ihr gesamtes beträchtliches schauspielerisches Können ein, um gerade diese Überzeugung ins Wanken zu bringen. Sie agiert hysterisch und stur und unnachgiebig. Sie kann mit vorgeschobenem Kinn und zu einer gekräuselten Linie gepressten Lippen eine bösartige Borderline-Persönlichkeit aufblitzen lassen wie sie das in Robert Altmans „Cookies Fortune“ (1999) tat oder als Drogensüchtige in „Boogie Nights“ (1997) und „Magnolia“ (1999). Sie kann eine sanftmütige, somnambule Mutter und Ehefrau sein, die plötzlich ausrastet, wie in ihren beiden bisher besten Filmen, die 2002 ins Kino kamen, „Far from Heaven“ und „The Hours“. Und alles das zusammen tut sie in „Die Vergessenen“. Außerdem aber ist sie in wenigen Momenten ganz Weichheit und strahlendes Mutterglück, sodass man einfach weiß: Man kann ihr trauen.

Es ist ein großes Vergnügen, dieser Schauspielerin bei der Arbeit zuzusehen, auch wenn sie manchmal keine besonders glückliche Hand bei der Auswahl ihrer Filme hat. Wie zum Beispiel bei diesem, dessen Plot nach einem furiosen Anfang ziemlich schnell die Luft ausgeht. Und weder Tellys Komplize (Dominic West) noch ihr Therapeut (Gary Sinise) sind interessante Figuren. So spielt Julianne Moore praktisch im Alleingang.

In Berlin in 19 Kinos; Originalfassung im Cinestar SonyCenter

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