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Aurore (Ariane Labed, li.) und Marine (Soko) müssen sich in einer Männerdomäne behaupten.

© Peripher

Kino: "Die Welt sehen": Verstoßen ins Paradies

Trauma-Therapie im Ferienresort: In „Die Welt sehen“ durchleben drei französische Soldatinnen ihre Kriegserfahrungen.

Von Andreas Busche

Eine Flugreise von Afghanistan nach Zypern dauert nur ein paar Flugstunden. Gefühlt trennen die beiden Länder aber Welten. „Das ist unwirklich“ meint einer der Soldaten in Delphine und Muriel Coulins „Die Welt sehen“ mit Blick von der Terrasse ihres Luxushotels auf das azurblaue Meer. Das mediterrane Szenario ist tatsächlich hochgradig absurd. In Camouflage marschieren die französischen Soldaten zwischen den Pools der Hotelanlage, während um sie herum die feierwütige Euro-Jugend selbstvergessen tanzt. Die Einheit ist in halboffizieller Mission auf Zypern, sie befindet sich auf dem Rückflug von einem Afghanistan-Einsatz in die Heimat. Der dreitägige Zwischenstopp im Luxus-Resort dient der „Dekompression“, bevor die Soldatinnen und Soldaten wieder in das zivile Leben entlassen werden – vor dessen Hoffnungslosigkeit sie ursprünglich in den Militärdienst geflohen waren.

Die französische Regierung bietet solche Regenerationsprogramme seit einigen Jahren an, um posttraumatische Belastungsstörungen unter den heimkehrenden Soldaten frühzeitig zu behandeln. Die Wellness-Oase, in der die Einheit der Jugendfreundinnen Aurore (Ariane Labed, seit einigen Jahren eine der interessantesten Darstellerinnen im europäischen Kino) und Marine, gespielt vom französischen Popstar Soko, untergebracht wird, ist natürlich nur eine (wirkungsvolle) Zuspitzung, mit der die Regisseurinnen die Kriegserfahrung der Männer und Frauen pointiert kontrastieren.

Virtuelle Realität gegen das Trauma

Der Tagesablauf im Resort folgt strikten Vorgaben: Morgens treffen sich alle in einem Konferenzraum, wo sie ihre Kriegserfahrungen teilen. Virtual-Reality-Simulationen sollen ihre Erinnerungen triggern, mit dem Ziel, den Einsatz neu zu durchleben. Doch bald wird klar, dass die geforderte Offenheit ihre Grenzen hat. Über die genauen Umstände eines Anschlag auf die Einheit, bei der drei Männer ums Leben kamen und Aurore schwer verletzt wurde, möchte eigentlich niemand reden – weder die Kameraden noch die Vorgesetzten. „Drei Tage sind nicht genug, diesen Krieg zu vergessen“, meinte Marine einmal zu Aurore, die sich von der Maßnahme Hilfe verspricht. Aber nach Reden ist den wenigsten in der Einheit zumute.

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Die Männer verstecken sich hinter Macho-Posen, unter der Oberfläche brodelt es. Schon kleinste Meinungsverschiedenheiten führen wiederholt zu Handgemengen. Aurore und Marine finden in der Sanitäterin Fanny (Ginger Romàn) eine Gleichgesinnte. Die ermüdende Routine zwischen schmerzvoller Erinnerungsarbeit und besinnungslosen Poolpartys stumpft die Männer und Frauen zunehmend ab. Aurore, Marine und Fanny kapseln sich vom Rest der Gruppe ab, sie ignorieren sowohl die internen Machtkämpfe als auch die militärische Hierarchie. Am zweiten Tag entfernen sie sich von ihrer Einheit für eine Spritztour in die Berge mit zwei Einheimischen. Doch die Versuche der drei Frauen, sich dem Zugriff ihrer männlichen Kameraden zu entziehen, sorgt für neue Spannungen.

Inszenierung des Soldatenkörpers

Delphine und Muriel Coulin, die schon mit ihrem Regiedebüt „17 Mädchen“ ein seltenes Gespür für unkonventionelle Frauenfiguren bewiesen, beobachten die Machtdynamik zwischen den Männern und Frauen mit analytischem Blick. „Die Welt sehen“ – so ein Werbeslogan der französischen Armee – ist genauso ein Film über die Folgen des Krieges wie eine kluge Reflexion über die Inszenierung des Soldatenkörpers, der die psychischen Versehrungen wie ein Panzer umschließt.

Anders als in Claire Denis’ meditativem Fremdenlegionärsdrama „Beau travail“ geht es den Coulin-Schwestern nicht um eine symbolische Ordnung. „Die Welt sehen“ ist in seinem Ansatz weniger transzendental, die Verletzungen sind physischer Natur. Einmal bleibt die Kamera von Jean-Louis Vialard lange an Ariane Labeds vernarbtem und verbrannten Körperpartien haften, es geht wie auch in den VR-Simulationen, deren schmutzig-graue Kriegsrealität wie ein Fremdkörper im sonnendurchfluteten Urlaubsparadies wirken, um Sichtbarmachung - von Machtverhältnissen. Die Soldaten in der Fremde – die Reise auf Google Earth zoomt vom fernen Afghanistan auf eine Sozialbausiedlung in der französischen Provinz. Und die Frauen, die sich in einer Männerdomäne zu behaupten haben.

In Brotfabrik, Central, fsk (alle OmU)

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