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Die erratische Aura von Sarah (Emily Mortimer) ist nicht greifbar.

© Wild Bunch

Film „Vom Ende einer Geschichte“: Wink des Schicksals

Die Erinnerung trügt: Julian Barnes’ Roman „Vom Ende einer Geschichte“ wird mit Charlotte Rampling verfilmt.

Von Andreas Busche

Es ist nur eine beiläufige Geste. Ein zaghaftes Winken, elegant verborgen in der Verschränkung der gefalteten Hände. Das erste Mal registriert man den Abschiedsgruß kaum, nur den Blick Tonys bei der Abfahrt, der die Augen nicht lassen kann von der Mutter seiner Freundin. „Deine Ma ist sehr nett“, meint er zu Veronica (Freya Mavor), eine harmlose Bemerkung, die ihr rustikaler Vater aber umgehend aufgreift. „Da hast du wohl Konkurrenz bekommen“, entgegnet er lachend. „Genau genommen, wir beide.“

Die Szene ist bald vergessen, obwohl Emily Mortimers kurzer Auftritt als Sarah einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Ihre erratische Präsenz während des Familienwochenendes stiftet angenehme Irritation, wenn Veronicas Mutter singend im Garten die Wäsche abnimmt und bei Tonys Anblick ausgelassen mit den Armen rudert oder später verschwörerisch meinte, dass er ihrer Tochter hoffentlich nicht alles durchgehen lasse. Doch das versteckte Winken kehrt in „Vom Ende einer Geschichte“ von Ritesh Batra ("Lunchbox") mehrfach als Motiv zurück, je deutlicher der Film die Jugenderinnerungen Tonys als trügerisch entlarvt.

Einbruch der Vergangenheit in die Gegenwart

Der erwachsene Tony (gespielt von Jim Broadbent) ist der unzuverlässige Erzähler im Film, der auf dem preisgekrönten Roman von Julian Barnes basiert. Er blickt aus vermeintlich sicherer Distanz zurück auf die sechziger Jahre - und ein tragisches Ereignis, dessen Folgen er verdrängt hat. Die Erinnerung kehrt zurück in Form eines Briefes von Veronicas Anwältin, die mitteilt, dass Sarah ihm das Tagebuch Adrians, einem gemeinsamen Freund von ihm und Veronica, hinterlassen hat. Veronica verweigert die Herausgabe des Tagebuchs, es ist das erste Mal seit ihrer kurzen Sommeraffäre, dass Tony wieder an sie denkt. Was es bedeutet, dass er seit Jahren ein kleines Geschäft für Fotokameras, eine Leidenschaft Veronicas, führt, kommt ihm nicht mal in den Sinn.

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Batra ist eine überraschende Wahl, der indische Regisseur hat sich bislang eher als Erzähler von Feelgood-Filmen empfohlen – zuletzt „Unsere Seelen bei Nacht“ mit Robert Redford und Jane Fonda. Barnes' Sprache dagegen spürt tief in der condition humaine nach Erkenntnissen zu der Frage, worauf sich unser Bewusstsein gründet.

Sein Alter Ego ist Adrian, ein erklärter Anhänger von Albert Camus’ Philosophie des Selbstmords. Geschichte, erklärt er im Unterricht, sei ein Konstrukt, „die Gewissheit, die sich einstellt, wenn die Unvollkommenheit der Erinnerung auf die Unzulänglichkeit unserer Zeugnisse trifft“. Der Satz ist instruktiv für das Geheimnis in „Vom Ende einer Geschichte“. Tonys Ex-Frau Margaret (Harriet Walter) fungiert – ein unglückliches erzählerisches Mittel – als seine Komplizin wider Willen. „Hast du gemerkt, dass du mir das erste Mal nicht alles erzählt hast?“, fragt sie ihn schnippisch, als er sie erneut um Rat bittet.

Das großartige Darstellerensemble ist die Stärke des Films

Batra verlässt sich ein wenig zu sehr auf sein Darstellerensemble, zu dem sich auch noch Charlotte Rampling als 40 Jahre ältere Veronica gesellt. Doch für die Fragen, die Barnes (und seinen Erzähler Tony) beschäftigen, findet Batra keine andere Form als die des Melodrams; ein weiterer Handlungsstrang um Tonys und Margarets schwangere Tochter (Michelle Dockery) ist genau eine dieser dramaturgischen Konventionen, die im Weltbild des Regisseurs vermutlich die Menschlichkeit seiner Figuren illustrieren sollen.

Der interessanteste Aspekt des Films, die Geschichte von Sarah und das Verhältnis zu ihrer Tochter, versinnbildlicht in der unmerklichen Abschiedsgeste, bleibt leider die große Leerstelle des Films. Sarahs diffus-erotische Aura als uneingelöstes Freiheitsversprechen, kurz vorm Ausbruch der sexuellen Revolution, geistert durch den Film, in dem Sex sonst nur körperliche Abwehrreaktionen auslöst.

Immerhin findet Batra eine überzeugende äußere Form für die „Unvollkommenheit der Erinnerung“. Seine Adaption wechselt, anders als der chronologisch erzählte Roman, elegant zwischen den Zeitebenen. Mit kurzen Flashbacks erzeugt „Vom Ende einer Geschichte“ zunächst ein Gefühl der Desorientierung, später konkretisieren sich die Erinnerungsfragmente, bis sich die Zeitebenen sogar ineinander auflösen. Das dunkle Geheimnis manifestiert sich in Tonys Bewusstsein, es ist die Erkenntnis einer Schuld.

In 8 Berliner Kinos, OmU: Eva, Filmkunst 66, Intimes, Kulturbrauerei, OV: Cinestar Sony-Center

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