zum Hauptinhalt

"Antichrist": Töte dieses Weib!

Eine sehr private Obsession: Perfide am Horrorfilm "Antichrist" ist einmal mehr die Intelligenz von Lars von Triers Manipulation, das Antiaufklärerische seiner Albtraumwelten.

Ein Mann, eine Frau, sie haben Sex, der kleine Sohn wacht auf, klettert aus dem Gitterbett, fällt aus dem Fenster in den Tod, der Teddybär schwebt mit zu Boden. Betörende Zeitlupenbilder zu Händels ergreifendster Arie, „Lascia ch’io pianga“ aus der Oper „Rinaldo“, Schönheit des Schreckens – so beginnt „Antichrist“. Schwebend, hypnotisch, eine Sekunde, die sich zur Ewigkeit dehnt.

Die Frau (Charlotte Gainsbourg), erstarrt vor Trauer und Schuldgefühlen, dazu der Mann (Willem Dafoe), der sie weitertherapiert. Der Schmerz als Wahrnehmungsstörung: Die Kamera verliert sich in extremen Nahaufnahmen, gezielten Unschärfen und zittrigen Panikattacken, während sich Szenen einer Ehe à la Strindberg abzuspielen beginnen. Sie: eine gequälte Seele. Er: der Analytiker, der zu heilen versucht, indem er sie noch mehr quält. Frau und Mann, Opfer und Täter, Trauma und Therapie, das alte Freud’sche Muster. Man mag es nicht – und schaut gebannt hin. Und das ist nur der Anfang.

Lars von Trier schickt das Paar in den Wald, ins Herz der Finsternis, in einen magischen Kreis aus nackter Angst und Gewalt. Tiere beginnen zu sprechen, ein Wolf verkündet das Chaos, ein Sturm wütet durchs Gras, Eicheln prasseln vom Himmel. Die Bilder dröhnen, die Elemente sind entfesselt, die ganze Natur fällt dem Wahnsinn anheim – und die Schönheit endet im apokalyptisch-archaischen Exzess. Das Kino: ein Inferno der Sinne, Teufelswerk aus dem Mittelalter.

Die Wände der Waldhütte sind mit historischen Darstellungen gefolterter Frauen gespickt – vor dem Tod des Sohnes hatte die Mutter an ihrer Dissertation über Hexen gearbeitet. Die gedemütigte, geschundene Frau: Der dänische Regisseur mag dieses Bild, er hat es immer wieder beschworen, von Emily Watson in „Breaking the Waves“ bis zu Nicole Kidman in „Dogville“. Nun also Charlotte Gainsbourg: Wie Kidman rächt sie sich an ihrem Peiniger, indem sie Willem Dafoe stigmatisiert – mit einem Pflock statt mit Nägeln, also mit grausameren Verwundungen als jenen, die Jesus auf Golgatha zugefügt wurden – und ihn lebendig in einem Erdloch begräbt.

Keine Frage, der Antichrist ist weiblich. Die vom Trauma befreite Frau erweist sich als Teufelsweib, als Hexe, die sich in der schrecklichsten Szene selbst verstümmelt (und in einer sekundenkurzen Rückblende ihr wahres Gesicht als Muttermonster zeigt). Der Regisseur macht keinen Hehl daraus, dass es sich bei „Antichrist“, diesem poetischsten und unerträglichsten Horrorfilm aller Zeiten, um eine sehr private Obsession handelt, um ein Krankheitsbild – und den Versuch der Selbstheilung. Der Regisseur ist Patient und Therapeut, Täter und Opfer, Mann und Frau. Man muss sich dieser Obsession nicht aussetzen, aber wer es wagt, der wird sich im Kino künftig nicht mehr in Sicherheit wiegen und denken, alles sei nur Illusion und täte deshalb nicht weh.

Lars von Trier quält den Zuschauer, wie im Film die Eheleute einander quälen. Perfide daran ist einmal mehr die Intelligenz seiner Manipulation, das Antiaufklärerische seiner Albtraumwelten. Erst offenbart er (s)ein krankes Frauenbild. Dann straft er es Lügen, indem er das Opfer zur Rachetat schreiten lässt. Die Rache der Frau lässt er jedoch derart in Horror ausarten, dass der Zuschauer sich zuletzt auf die Seite des Mannes schlägt. Ja, bitte, töte dieses Weib, erlöse uns von diesem Übel. Steckt in jedem von uns ein Hexenverbrenner? Oder ist es bloß Lars von Trier, der sein Publikum gern auf die Folter spannt?

Cinemaxx Potsdamer Platz, Kant, Kulturbrauerei, Moviemento; OmU in den Hackeschen Höfen und im Xenon

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false