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CITY Lights: New Orleans Blues

Frank Noack ringt um den reinen Dokumentarfilm

Für üble Nazi-Machwerke wie Dr. Fritz Hipplers „Der ewige Jude“ haben Filmhistoriker das Wort „Pseudo-Dokumentarfilm“ geprägt, um sie von humanistischen, progressiven Dokumentarfilmen zu unterscheiden. Das klingt nach einer Reinheitslehre: Um sich Dokumentarfilmer nennen zu dürfen, muss man offenbar anständig sein. Wo steht dann aber jemand wie Michael Moore, der für das Gute mit dubiosen Mitteln kämpft, indem er vereinfacht und nachlässig recherchiert? Oder Al Gore, dessen „unbequeme Wahrheit“ so unbequem nicht sein kann, wenn sie mit riesigem Werbeaufwand in die Multiplexe gelangt?

Wie viel Kunst verträgt ein Dokumentarfilm überhaupt? Soll man einem Amateurfilmer mehr vertrauen als einem Vollprofi, der das belichtete Material kunstvoll montiert hat? Viele Zuschauer denken so, weswegen raffinierte Profis sich gerne amateurhaft geben. „Pseudo-Doku“ ist längst kein Schimpfwort mehr, sondern ein Stilmerkmal: Regisseure setzen bewusst eine wacklige Handkamera und improvisiert klingende Dialoge ein, um Spontaneität zu erzeugen. Wem kann man noch trauen? Gibt es ihn überhaupt, den reinen Dokumentarfilm?

Vielleicht hängt auch hier alles weniger von der Technik ab als von der – vor allem nicht simplifizierenden – Haltung. Gleich zwei solcher Filme sind im Acud zu sehen (Dienstag und Mittwoch). Sie dauern je eine Stunde und behandeln frei von Polemik das Versagen der US-Regierung. Für Cataclysm in New Orleans haben Ralph Klein und Elias Scheideler mit Bürgern gesprochen, deren Existenz durch den Hurrikan Katrina zerstört wurde. Ein Mann konnte am 1. September 2005 seine Miete nicht pünktlich bezahlen, weil die Nationalgarde ihn am Betreten seines Wohnorts hinderte, und wird jetzt von der Justiz wie ein Verbrecher behandelt. Ein erschütterndes Bild zeigt einen Vater, der seinen sterbenden Sohn in ein Krankenhaus tragen will und nicht an der Nationalgarde vorbeikommt. Der Schutz des Eigentums, genauer: der Villen reicher Bürger vor Plünderern war damals wichtiger als ein Menschenleben. Kein Wunder, dass Hollywood dieses Thema ignoriert. Der zweite Film, David Martinez’ 500 Miles to Babylon, zeichnet ein differenziertes Bild des Irak. Die Regisseure geben keiner Position den Vorzug, bleiben unsichtbar – und liefern Material, das der Zuschauer ordnen muss. Nach den Filmen wird mit Vertretern der Organisation American Voices Abroad diskutiert.

Niemand käme auf die Idee, an einem Musical mit Fred Astaire die dokumentarischen Qualitäten zu loben. Dabei wird ein wesentlicher Aspekt seiner Filme übersehen: Als erster Tanzstar des Kinos bestand Astaire darauf, in durchgehenden Einstellungen gefilmt zu werden. Jeder Schnitt oder Schwenk wäre ein Betrug am Publikum gewesen. Zum 20. Todestag des Künstlers lädt das Filmkunst 66 zur Fred-Astaire-Gala mit Ausschnitten aus seinen besten Filmen (Freitag und Sonnabend). Heute hätte Astaire wohl keine Chance mehr: zu schmächtig, zu unscheinbar, zu alt. Durchgehende Kameraeinstellungen sind zudem aus der Mode gekommen; die rasante MTV-Ästhetik macht eine Überprüfung tänzerischen Könnens unmöglich.

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