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CITY Lights: Sibirische Sehnsucht

Frank Noack blickt nach Russland

In einem Monat kommt ein Film über Dschingis Khan in die Kinos, den der russische Regisseur Sergei Bodrov gedreht hat. Die Hauptrolle spielt wieder kein echter Mongole, aber immerhin ein Japaner – ein Fortschritt gegenüber früheren Dschingis-Khan-Interpreten wie John Wayne und Omar Sharif. Es ist nicht einfach, bei der Besetzung solch einer Rolle auf Authentizität und zugleich auf die Marktgesetze zu achten. Unmöglich ist es nicht. Zu den wenigen internationalen Stars, die der sowjetische Stummfilm hervorgebracht hat, gehörte der in Irkutsk geborene Valery Inkijinoff, der in Europa „der mongolische Jannings“ genannt wurde. Er setzte sich nach Paris ab und pendelte bis in die siebziger Jahre hinein zwischen Frankreich und Deutschland. Im NS-Kino nahm er eine einzigartige Stellung ein, denn er wurde als Star seiner Filme herausgestellt. In dem Propagandafilm Friesennot (1935), der unter Wolgadeutschen spielt, hatte er als Politkommissar sogar eine deutsche Geliebte (Freitag im Zeughauskino). Diese sympathisch gezeichnete Frau wird von den Dorfbewohnern ins Moor gejagt. Regisseur Peter Hagen war gleichwohl keine lange Karriere in Joseph Goebbels’ Imperium beschieden. So unerbittlich die sogenannte „Rassenschande“ im Alltag bestraft wurde – im Kino wollte das Publikum nicht sehen, wie eine wehrlose Frau gelyncht wird. Günter Agde wird eine Einführung zum Film halten, dessen Musik von dem Schönberg-Schüler Walter Gronostay geschrieben wurde.

Parallel zur antikommunistischen Propaganda entstanden im NS-Kino auch slawophile Filme, die in Bildern des zaristischen Russlands schwelgten: Zwiebeltürme und Pelzmützen zu Balalaikaklängen. Richard Eichbergs Der Kurier des Zaren nach dem Abenteuerroman von Jules Verne war Ausdruck dieser Slawophilie (Mittwoch in den Eva-Lichtspielen). Während sie 1935 an einer deutschen und einer französischen Version arbeiteten, saßen Eichberg und sein Hauptdarsteller Adolf Wohlbrück auf gepackten Koffern. Beide hatten sich ein paar Jahre lang ohne Ariernachweis durchgemogelt, und Wohlbrück war außerdem schwul. Ihre kosmopolitische Einstellung kam nicht nur dem Film zugute, sie half auch im Exil weiter.

Kosmopolitismus war in der Sowjetunion ein Schimpfwort und ein Strafbestand, selbst wenn es sich um unfreiwillige Feindkontakte handelte. Von den rund vier Millionen sowjetischen Soldaten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren, haben nur 40 Prozent überlebt, und für sie gab es 1945 keine Befreiung. Sie wurden als Kollaborateure erschossen oder nach Sibirien geschickt und erst im Zuge der Entstalinisierung begnadigt. Ihr Leiden war lange Zeit ein Tabuthema, und Alexei Germans Wiedergutmachungsfilm Straßenkontrolle (1971) ist schnell wieder zurückgezogen worden (Dienstag im Arsenal). Er handelt von einem Sergeanten der Roten Armee, der, nachdem er 1942 aus der deutschen Gefangenschaft entkommen konnte, nicht auf der Stelle erschossen wird, sondern sich mit einem Himmelfahrtskommando bewähren darf. Der Regisseur lebt noch, er hat soeben seinen 70. Geburtstag gefeiert und arbeitet an seinem sechsten Film – in vierzig Jahren.

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