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Das rote Zimmer: Sorge dich nicht, küsse!

"Das rote Zimmer" von Rudolf Thome überzeugt als lustvolle Versuchsanordnung, der eine gewisse Künstlichkeit nicht abzusprechen ist.

Irgendwie passt das zu der Umsicht, mit der man heutzutage seine Beziehungsverhältnisse sortiert, zu den Ratgeberbüchern wider das unordentliche Gefühl der Liebe, zum Digital-Check frischer Kontakte, bevor man sich denn doch ins unvermeidlich analoge Abenteuer stürzt. Im Kino, der populären Welterklärungsmaschine, häufen sich derzeit die Versuchsanordnungen. So wenig wie möglich bleibt dem Zufall überlassen und die Filmemacher gehen mit geradezu wissenschaftlicher Akribie ans Werk.

Der Nachteil solcher Konstrukte – man könnte sie auch Versuchungsanordnungen nennen – ist eine gewisse Künstlichkeit. Alltagslebensmodelle, vor allem feste Zweierbeziehungen, werden einem Experiment unterworfen und am Ende fein austarierter Zuspitzungen findet das Geschehen, wie zuletzt in Massy Tadjedins „Last Night“ oder auch Tom Tykwers „Drei“, denn doch in eine eher klinische Beweisführungsmaßnahme. Mal steht sie für das Gelingen, mal für das Scheitern dieser oder jener Utopie.

Auch Rudolf Thome gehört, so scheint es, zu jenen Schmetterlingsforschern, die keine Ruhe geben, bis auch das letzte Exemplar aufgespießt und katalogisiert ist – und endlich bewiesen, was zu beweisen war. Unvergessen sein „Paradiso – Sieben Tage mit sieben Frauen“, den er sich 1999 zum 60. Geburtstag schenkte: Ganz schön grausam das Vorhaben des von Hanns Zischler gespielten Komponisten, zum herbstlich runden Wiegenfest mal eben die Frauen seines Lebens einzuladen. Und was ist, wie zuletzt in „Pink“ (2008), erst von einer Frau zu halten, die die Wahl zwischen drei Heiratskandidaten ihrem Taschenrechner überlässt?

Generell geht Rudolf Thome genau umgekehrt wie seine Versuchsanordnungskollegen vor: Er entwirft möglichst absonderliche Ausgangssituationen, um von dort die Reise ins Offene anzutreten. Sein männliches Beziehungsforschungssubjekt in „Das rote Zimmer“, Dr. Fred Hintermeier (Peter Knaack), arbeitet als Wissenschaftler auf dem noch jungen Forschungsfeld der Philematologie. Besonders witzig: Der Kussforscher, der seine Probandenpaare zwecks Analyse hormoneller Wallungen zu minutenlangen Oralvereinigungsmarathons zusammenführt, ist selber gerade reichlich ungeküsst. Doch frisch geschieden lernt er mit Luzie (Katharina Lorenz) und Sibil (Seyneb Saleh) zwei ebenso rätselhafte wie reizvolle Frauen kennen, die ihn ihrerseits zum Gegenstand lustvoller Kreativrecherche machen.

Wieder einmal spielt ein Thome-Film im Sommer – und das beschwerlich entfremdete akademische Großstadtleben findet luftigen Ausgleich auf dem Land. Luzie und Sibil locken den weichen, stillen Fred in ihr Häuschen nach Kleinblättersdorf ins Ostvorpommersche – und eine so wundersame wie behutsame Ménage à trois beginnt. Klar, Luzie schreibt, per Laptop auf dem Hochsitz im Wald, an einem Roman über die Seele der Männer, da kann ein Versuchskaninchen im Bett und am Frühstückstisch nicht schaden. Und Sibil, die sich ihrer Zwangsverheiratung Richtung Türkei in die norddeutsche Provinz entzogen hat, ist nicht nur Luzie erotisch innig verbunden, sondern findet auch an dem diskret bedürftigen Fremden Gefallen.

Welchem Ziel aber die bald im roten Zimmer anhebenden, von den Frauen besonders initiativ betriebenen Kussforschungsexperimente dienen, bleibt lange unklar. Der „Ewigkeitstest“, dem Fred sich unterworfen sieht, könnte in eine sehr freie Variante von „Arsen und Spitzenhäubchen“ münden – schließlich ging es schon in Thomes legendärer Versuchsanordnung „Rote Sonne“ (1969) durchaus mörderisch zu. Oder die „Fliege im Spinnennetz“, als die sich Fred bald in sanfter Klage begreift, bleibt bloßer Zeitvertreib für das lesbische Paar, bevor es – einer Laune folgend – das Interesse an ihm verliert. Immerhin darf er sich zwischenzeitlich mit der im nahen See herbeischwimmenden „Göttin der Liebe“ trösten. Oder ist das ganze Nixen- und Hexenwesen bloß geträumt?

Immer weiter treibt das Trio aus üblichen Verhältnissen davon in eine heitere Menschenfantasie. Auch Thomes Spiel läuft auf eine Utopie hinaus, aber sie fungiert ausschließlich als Pointe. Ob der Regisseur selber überrascht war von seiner charmant vorantänzelnden Erfindung? Schon sind die bunten Schmetterlinge, eben noch für die Ewigkeit in ihren Schaukästen festgesteckt, mit lustig-lustvollem Ziel davongeflogen.

Cinemaxx, Kant und Tilsiter Lichtspiele

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