zum Hauptinhalt
Liebesleben

© X-Verleih

''Liebesleben'': Der sanfte Terror

Lebenslügen, Liebeswut: Maria Schrader gibt ihr Regiedebüt und politisiert Zeruya Shalevs Bestseller.

Süßer, flirrender Frühherbst, verführerisch weich. Ein Klingelschild, von Bienen umschwirrt. Pass auf, Jara, rühr es nicht an, du könntest gestochen werden. Andererseits, ein Bienenstich, was ist das schon? Und was ist schon ein Seitensprung? Lässliche Sünde. Oder nicht?

Es scheint nicht viel, was Jara riskiert. Ein bisschen Leben. Die israelische Schauspielerin Netta Garti spielt diese Jara als höhere Tochter, hübsch dunkellockig, immer in Rock und weißer Bluse, ordentlich, brav, ziemlich naiv. Sehr jung verheiratet, daheim hat der Ehemann gerade das Sofa gekauft, man spielt Familie und ist es noch nicht. Denn immer noch ist Jara ein Vaterkind: deckt dem Vater im Park ein Geburtstagspicknick, schmückt den Tisch mit Blüten, die Bäume mit Bändern, wartet lange, und keiner kommt. Fast wünscht man ihr den Sturm, der sich am Himmel abzeichnet, mit ersten, heftigen Windstößen, die die Bänder in den Bäumen zausen. Ein Sturm zum Erwachsenwerden – manchmal nicht schlecht.

Die Geschichte einer notwendigen Emanzipation erzählt Maria Schrader in ihrer Literaturverfilmung „Liebesleben“, die Schauspielerin gibt damit ihr Regiedebüt. Die Vorlage, der Bestseller der israelischen Autorin Zeruya Shalev, hatte von etwas ganz anderem erzählt, von menschlichen Abgründen, von Abhängigkeit. Eine junge Frau verfällt einem älteren Mann, er lässt sie auflaufen, hinterherlaufen, demütigt sie, indem er sie sexuell benutzt, ohne Zuneigung, gar Liebe erkennen zu lassen. Abhängigkeit auf der einen, Gleichgültigkeit auf der anderen Seite, Lebenslust gegen Lebensüberdruss. „Du bist hungrig, ich bin satt“, den Schlüsselsatz hat auch Maria Schrader übernommen. Und ansonsten aus der Ballade von der sexuellen Abhängigkeit der Frau eine klassische Familienaufstellung gemacht.

Das ist legitim – und funktioniert überraschend gut. Maria Schrader agiert als Regisseurin sehr souverän, ohne falsche Töne beim Thema Israel, beim Thema Sex. Und Kameramann Benedict Neuenfels schafft betörende Bilder, leuchtend vor sommerlicher Leichtigkeit, schwebend, nie vordergründig touristisch. Auch wer die Buchvorlage nicht kennt, wird den Film goutieren können. Wer sie kennt, ist vielleicht enttäuscht. Vielleicht.

Der Film „Liebesleben“ ist vor allem, mehr noch als Shalevs 2000 erschienenes Buch, ein sehr heutiger Israel-Stoff. Die Autorin hatte sich zunächst gegen eine Verfilmung im Land gewehrt und gewünscht, die politischen Probleme mögen nicht zu sehr in den Vordergrund treten: Ihre Geschichte von Liebe und Freiheit sei universell. Maria Schrader hat auf dem Dreh in Israel bestanden – und verleiht dem Film dadurch einen unterschwelligen Grundton von Unsicherheit, die vieles erst erklärt. Wenn Jara ihr Picknick im Park anrichtet und die Familie nicht wie verabredet erscheint, hört sie in der Ferne Sirenen und denkt gleich ans Schlimmste. Sie kann auch nicht Bus fahren, aus Angst vor Attentaten. Hat der Nachbar da gerade seinen Walkman in die Tasche gesteckt – oder vielleicht eine Bombe gezündet? Jede größere Menschenmenge ist eine Bedrohung. Jeder überlebte Tag ein Glück.

Drehen in Israel. Dazu gehört bei jeder Einstellung die Entscheidung: Wie viel Terror zeige ich? Nehme ich die Mauer, die das Land teilt, ins Bild? Wie lange verharre ich mit der Kamera am Grenzposten? Zeige ich die Soldaten, die das Stadtbild bestimmen? Maria Schrader hat es klug vermieden, einen politischen Kommentar zu Israel als Land im Kriegszustand zu drehen. Sie zeigt den Alltag in Jerusalem – und hat doch keinen alltäglichen Film gedreht.

Aus Jaras innerem Monolog, der das Buch bestimmt, ist eine objektivere Sicht geworden, eine Außensicht auf Land und auf die Protagonisten. Die Angst, mit der Jara durchs Leben hetzt – bei Zeruya Shalev ist es die Angst vor einem verpassten Leben. Dass Maria Schrader daraus die Angst eines Lebens in beständiger existenzieller Ungewissheit macht, ist nur konsequent – und auch Shalevs Biografie geschuldet, die 2004 selbst knapp einem Attentat entkam und danach lange mit Schreibblockaden zu kämpfen hatte. Der Film liefert Motive, die die Buchvorlage im Jahr 2000 noch nicht haben konnte. Und erklärt so auch Jaras Sehnsucht nach einer intakten Familie, nach Heimat und Geborgenheit. Es sind die Überlebenden, die sich aneinander klammern. Vielleicht ist auch deshalb Familie in Israel wichtiger als in anderen Ländern.

Wie Jara sich aus dieser Umklammerung löst, vor allem davon erzählt Schraders Film. Es geht um Nähe und zu viel Schweigen, um Schonung aus Liebe, und um Lebenslügen. Der melancholische Vater (Stephen Singer) behauptet standhaft, er sei sehr glücklich. Die aggressiv-depressive Mutter (Tovah Feldshuh) scheint mit aller Kraft gegen ihre Grenzen anzurennen. Beide leben in einer zerrütteten Ehe, die schon ahnen lässt, was in einigen Jahren auch aus Jara und ihrem Mann Joni werden kann. Arie (Rade Sherbedgia), der verführerische Fremde, dieser müde graue Tiger, elegant und überheblich, wirkt dabei wie ein Katalysator. Alle reagieren extrem heftig auf ihn, der Vater mit überbordenden Freundschaftsbezeugungen, die Mutter mit heftiger Ablehnung, und Jara: Jara verliebt sich – eher in eine Möglichkeit als in den Mann.

Keine Angst vor Bienen, Jara. Es gibt keine Liebe ohne Risiko.

Ab Donnerstag in 8 Berliner Kinos. OmU: Hackesche Höfe.

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false