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© teutopress

Berlin: Die Bilder der anderen

Familienfest mit Werbewirkung: Wie alles anfing beim Europäischen Filmpreis – und wem der Preis heute nützt.

Godard kommt. Und Liv Ullmann. Wim Wenders ist Präsident, Jeanne Moreau mischt gerne mit, Pedro Almodóvar war von Anfang an dabei. Am morgigen Sonnabend wird in der Arena Treptow der 20. Europäische Filmpreis verliehen: Die von Emmanuelle Beart und Jan Josef Liefers moderierte Jubiläumsgala hat das Zeug zu einem rauschenden Fest. Und vorher, auf der Generalversammlung der die Gewinner wählenden Europäischen Filmakademie (EFA), wird der britische Produzent und Gründungsveteran David Puttnam eine Ruckrede halten.

Ruckrede? Ist die nötig? Hatte es nicht vielversprechend angefangen, als sich 1988 in der Atlantic-Suite des Hotels Kempinski auf Initiative von Berlins Kultursenator Volker Hassemer leidenschaftliche Autorenfilmer trafen – Bernardo Bertolucci, Isabelle Huppert, Wim Wenders und andere – um etwas gegen den Vertrauensverlust des europäischen Films zu tun? Ihre Idee: ein Preis (der „Felix“ wurde von Markus Lüpertz gestaltet) und eine Akademie. Schluss mit dem Isolationismus, wir stärken den Filmfamiliensinn! Und den menschlichen Faktor!

Es war eine bewegende erste Verleihung im Theater des Westens. Marcello Mastrioanni alberte mit dem kurzbehosten Bronzeknaben herum. Nikita Michalkow stürmte auf die Bühne, um dem auf Knien danksingenden Curt Bois einen Sack Kaviar zu überreichen. Und der Georgier Sergej Paradschanow schenkte Giulietta Masina sein persönliches Amulett. Europa, eine Liebeserklärung.

Aber trotz der Galas, die abwechselnd in Berlin und anderen europäischen Metropolen die klügsten, schönsten, aufregendsten Filmschaffenden Europas versammeln, klingen die alten Slogans bis heute nach Ermunterung in eigener Sache. „There is no motion without promotion“: Zwar ist die Akademie kein handverlesener Klub mehr, den Gründungspräsident Ingmar Bergman noch auf 99 Regisseure beschränkt hatte. Längst findet die Gala auch nicht mehr in der Bar jeder Vernunft statt (wie ab 1989), sondern in großen Sälen. Heute zählt die Akademie 1800 Mitglieder, sie küren unter 40 vorausgewählten Filmen die Nominierungen und Sieger. Die PR-Wirkung bleibt dennoch bescheiden.

Wegen der Sprachbarrieren. Wegen des blassen EU-Gemeinschaftsgefühls trotz Billigfliegerei. Wegen der Schwierigkeiten des Humor-, sprich: Komödienexports. Der europäische Marktanteil am Kinokassenkuchen in den EU-Ländern ist nur deshalb geringfügig gestiegen (von 23 Prozent 1996 auf 25 Prozent 2005), weil die jeweils nationalen Marktanteile angezogen haben. Alle lieben Hollywoodfilme, und die Deutschen mittlerweile auch Deutsches, die Italiener Italienisches, die Dänen Dänisches usw. In Frankreich lag der nationale Marktanteil 2006 bei sagenhaften 45 Prozent, in Deutschland bei 25,9 Prozent, in Italien bei 20 Prozent. Bloß die Filme der Nachbarn gucken die Europäer nach wie vor selten.

Den ersten Felix erhielt Krzysztof Kieslowski für sein archaisch-strenges Drama „Ein kurzer Film über das Töten“. Bei der Verleihung sagte er: „Ich hoffe, Polen liegt in Europa.“ Dann fiel die Mauer, aber trotz EU-Osterweiterung übersteigt der Anteil osteuropäischer Filme am Box Office im Westen kaum 0,06 Prozent. Eine derart beschämende Zahl, sagt EFA-Geschäftsführerin Marion Döring, dass man sie nicht mal aussprechen mag.

Wem also nützt der Preis, der seit 1997 nicht mehr Felix heißt, sondern in Gestalt einer stromlinienförmigen, namenlosen Figurine daherkommt? Regisseuren, deren Name eine Marke ist. Dem herzensverrückten Pedro Almodóvar. Lars von Trier und den Dogma-Dänen. Dem Moralphilosophen Michael Haneke, dem engagierten Ken Loach und dem jungen Wilden Fatih Akin. Ihre Filme erzählen von Träumen und Traumata, vom Weiterleben nach dem Ende kalter und heißer Kriege, von den Sehnsüchten der Migranten und dem Zusammenleben der Kulturen. Europa, eine Familienaufstellung: Wo, wenn nicht im Kino, ließen sich Clashs und Koalitionen gefahrloser ausprobieren?

Nicht zufällig gewinnen die Regisseure im internationalen Festivalzirkus vorher oft auch die Palmen, Löwen und Bären: Die Akademie entdeckt nicht, sondern bestätigt und belohnt den Erfolg. Fast 15 Jahre lang fanden sich deutsche Titel nicht mal unter den Nominierungen. 2003 gewann „Good Bye, Lenin!“, folgten „Gegen die Wand“ und „Das Leben der Anderen“. Weil der deutsche Film wieder wer war, über die Landesgrenzen hinaus. Das honoriert auch die Akademie.

Zwar bestreitet Marion Döring im EFA-Büro am Kurfürstendamm, dass die Akademie patriotisch wählt. Aber auffallend ist es schon, dass die mitgliederstärksten Länder Deutschland (294), Großbritannien (261), Frankreich (243), Spanien (162) und Italien (132) bislang die meisten Preise einheimsten. Gewiss werden Briten und Deutsche das aktuelle Rennen zwischen Akins „Auf der anderen Seite“ und Stephen Frears’ „The Queen“ unter sich ausmachen. Cristian Mungiu aus Rumänien (12 Mitglieder) hat keine Chance, obwohl sein Frauendrama „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ die stärksten Bilder dieses Jahrgangs versammelt.

Stephan Hutter, EFA-Vorstandsmitglied und Chef des Prokino-Filmverleihs, dessen iranisch-französischer Migrantencomic „Persepolis“ ebenfalls nominiert ist, spricht von sechs, sieben Produktionen pro Jahr, die das Zeug zum publikumsträchtigen europäischen Kinoereignis haben. Denen nützt der Filmpreis, sagt Hutter. Aber einen kleinen Film groß machen, das kann der Preis nicht.

Wenigstens gibt es den Oscar-Effekt. Die Amerikaner lieben Auszeichnungen. Weil die Europäer die winterliche Preis-Saison eröffnen, hat der Filmpreisträger regelmäßig gute Chancen beim Auslands-Oscar. Jüngstes Beispiel: Henckel von Donnersmarcks Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“. In Europa hingegen ist es nicht leicht mit der Popularisierung, trotz Förderprogrammen wie „Media“ oder „European Film Promotion“. Denn die diversité culturelle bringt es mit sich, dass die gleichen Filme je nach Land unterschiedlich beworben werden müssen, oft sogar zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Die Idee simultaner Euro-Filmstarts ist deshalb passé.

Also Klasse statt Kasse. Gewiss stärken die auch mal eher peinlich geratenden Galas das Selbstbewusstsein einer von Hollywood, der DVD-Revolution und der Videopiraterie gebeutelten Branche. Manche Krise hat die EFA denn auch mit schierer Tapferkeit überwunden. Schöne Erinnerung: Wie Wim Wenders die Gäste nach der Streichung der Landesgelder 1995 in der Bar jeder Vernunft mit „Guten Morgen und Auf Wiedersehen“ begrüßte. Und wie Hrafin Gunnlaugsson aus Island darauf das 900 Jahre alte Lied vom Wikinger sang, der auf verlorenem Posten kämpft, aber niemals kapituliert. Auch die drohende Hollywoodisierung zum 10. Geburtstag (als die Amerikaner die Preisverleihung dominierten) hat die heute vor allem von Lottogeld und Sponsoren finanzierte Akademie überwunden.

Die Fernsehrechte der morgigen Preisverleihung wurden übrigens in 61 Länder verkauft, darunter 18 arabische Staaten und Hongkong. Allerdings wird sie nirgendwo live übertragen; in Deutschland ist sie erst am Sonntag um 22.15 Uhr auf Arte zu sehen. Während der Gala am Samstag zeigen die Arte-Gesellschafter ARD und ZDF Florian Silbereisens „Adventsfest der Volksmusik“ sowie „Harry Potter“. Europa taugt nicht zur Quote.  

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