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Wackernagel

© MMM

Dokumentarfilm: Himmel über der Wüste

Wohnsitz Mali: Jonas Grosch hat einen Dokumentarfilm über den Schauspieler und Ex-Terroristen Christof Wackernagel gedreht - mit einer ganz besonderen persönlichen Note.

Der Mann hat was Sonniges, wie er dasitzt in allerlei wüstentauglichen Klamotten und unterm lustig gewickelten Palästinensertuch-Turban, und das Sonnige liegt gar nicht mal an Mali. In dem Sahara-Staat lebt er zwar seit ein paar Jahren und dort in der wirbeligen Hauptstadt Bamako, die ihn auf seinen Gängen „ums Karree“, sagt er, immer wieder fröhlich macht; aber das kräftig losbollernde Lachen muss er schon mitgebracht haben und auch das liebenswert großräumige Armschlenkern, wenn er sich ereifert – und er ereifert sich gern. Ganz klar, da ist einer, der Aufregendes zu erzählen hat aus einem reichlich schlingernden Leben. Und einer, der mindestens zwischengelandet ist in diesem irren und schlimmen und wunderbaren Kontinent und sich locker macht zu sich selber hin, endlich locker.

Der Mann heißt Christof Wackernagel, ist mittlerweile 56 und hierzulande bekannt als Ex-Terrorist. Ihn nervt das: dass er für die Leute immer nur interessant ist als einer, der im November 1977 als steckbrieflich gesuchtes RAF-Mitglied in Amsterdam nach einer Schießerei mit fünf Verletzten, Wackernagel inklusive, für 15 Jahre in den Knast wanderte – wovon er, der sich 1983 von der RAF logesagt hatte, zehn Jahre absaß. Einmal Terrorist, immer Terrorist, so hätten sie’s gern. Dabei hat er, Spross einer Theater- und Schauspielerfamilie, mit 15 als Hauptdarsteller in Johannes Schaafs „Tätowierung“ angefangen und ist viel später unter anderem im „Bewegten Mann“ und allerlei Fernsefilmen aufgetreten, dabei schreibt er und malt er, und Regieassistent beim Claus Peymann in Bochum war er schließlich auch.

All das und noch viel mehr kommt, zumindest angetippt, vor in dem Dokumentarfilm „Der Weiße mit dem Schwarzbrot“, worin der Babelsberger HFF-Student Jonas Grosch den schillernden Früh- bis Spätaussteiger munter reden lässt über damals und heute und überhaupt. Was die Doku, die so gar nichts von den jüngsten televisionären RAF-Jubiläumsbegängnissen hat, besonders persönlich erscheinen lässt: Der Regisseur ist Wackernagels Neffe – und tatsächlich, manchmal tönt, was der Alte aus dem Schlachtenlärm jener fernen bundesrepublikanischen Jahre erinnert, wie „Onkel erzählt vom Krieg“. Aber immer wieder funkelt das nachdenkliche Glück darüber dazwischen, dass damals in Amsterdam niemand zu Tode kam. Vor allem nicht der Polizist Herman van Hoogen: Der setzte sich vehement für Wackernagels Freilassung ein und brachte dessen Feindweltbild endgültig zum Einsturz.

Als Episode lässt Wackernagel jene Lebensphase gelten, die zudem bald nach seinen Knastjahren eine fundamentale, gewissermaßen nachgetragene Lebenskrise auslöste. Aber eben: als Vergangenheit. Die manchmal wild überschäumende Lust auf Weltverbesserung aber, die treibt ihn auch heute noch, Misserfolge eingeschlossen. Wenn er sich in Bamako als nicht eben profikapitalistischer Begründer einer Vollkornbäckerei versucht und alsbald der mühselig aus Deutschland herbeigeschaffte Ofen explodiert. Wenn die satten europäischen Botschaftsleute ums Verrecken nicht seine Idee aufgreifen wollen, ihre teuren Fuhrparks abzuschaffen und stattdessen im täglichen Gespräch mit Taxifahrern Wirklichkeit zu tanken. Oder wenn die Behörden Malis die von Wackernagel angeregten lärmenden Müllsammel-Battles unter Straßenkindern nach ersten Staubtestversuchen denn doch nicht gleich in den Dringlichkeitskatalog ihrer umweltpolitischen Reformen aufnehmen.

Ein Graswurzel- oder besser: ein Wüstensandrevolutionär ist dieser Christof Wackernagel in seinem afrikanischen Leben, in dem er sich wie ein Schwarzer fühlen will und doch ein – mittlerweile geschätzter – Außenseiter bleibt. Ein Wirbelkopf auch, doch kein Wirrkopf. Ein Künstler, vor allem aber ein Überlebenskünstler, der im leeren Swimmingpool seines für europäische Verhältnisse schlichten Anwesens gackernde Hühner einzufangen sucht und abends den befreundeten Komponisten Madou Coulibaly bei Straßenauftritten tadellos auf der Gitarre begleitet. Vielleicht ein Romantiker auch: einer, der – Protagonist dieses schön passend unfertig anmutenden Porträts – immer wieder vom besseren Leben träumt.

Kann schon sein, dass was draus wird. Manchmal braucht es dafür eben ein Leben lang Zeit.

Kino Babylon Mitte

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