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Dokumentarfilm: Unter mir Meer, über mir Nacht und Sterne

"Dieses Lied", sagt ein Hamburger Alleinunterhalter, "fordert auf, die Seele zu öffnen und sich selber zu spüren." Eine Dokumentation über den Schlager "La Paloma".

„Mich treibt die Sehnsucht fort in die blaue Ferne“, so sang einst Hans Albers. „Unter mir Meer und über mir Nacht und Sterne.“ „La Paloma“ gilt in Deutschland als Inbegriff des Nordens, als Sehnsuchtsschlager, mit dem sich der Seemann von der Geliebten verabschiedet, wenn er fort muss, hinaus auf die See. „La Paloma ohe, einmal muss es vorbei sein / Seemannsbraut ist die See, und nur ihr kann ich treu sein.“ In Wirklichkeit ist die Melodie fast hundert Jahre älter als der in Deutschland populäre Text. Er stammt von Helmut Käutner, der ihn 1943 für sein St.Pauli-Melodram „Große Freiheit Nr. 7“ schrieb. Die Zeile „Einmal muss es vorbei sein“ hatte 1943 einen doppelten Boden, sie konnte defätistisch verstanden werden. Goebbels ließ den Film verbieten. Zur gleichen Zeit stand der Berliner Jazzgitarrist Coco Schumann, der als sogenannter „Halbjude“ nach Polen deportiert worden war, auf der Selektionsrampe von Auschwitz und spielte „La Paloma“. Es gehörte zu den Lieblingsliedern der SS-Wachmannschaften.

Im Dokumentarfilm „La Paloma. Sehnsucht. Weltweit“ sind jetzt beide zu sehen, Hans Albers mit seinem Schifferklavier in Käutners Film und Coco Schumann, der mit 84 Jahren immer noch auftritt und auch immer noch „La Paloma“ spielt. „Was kann das Lied dafür, dass es die Nazis missbraucht haben?“, fragt er. Der Film der Freiburger Regisseurin Sigrid Faltin ist selber so etwas wie eine große sentimentale Reise, er nimmt den Zuschauer mit auf eine Spurensuche über drei Kontinente und durch zweihundert Jahre Kulturgeschichte.

Geschrieben hat „La Paloma“ der baskische Komponist Sebastián Iradier Mitte des 19. Jahrhunderts als Habanera, einen langsamen, Tango-artigen Tanz, in dem der Sänger schmachtet: „Als ich Havanna verließ, Gott mit mir, hat mich keiner gesehen, außer mir / Eine schöne Mexikanerin ließ ich hinter mir, so war es.“ Ob Iradier jemals in Havanna war, ist unbekannt, trotzdem haben die Kubaner sein Lied vereinnahmt: „La Paloma ist eine Kubanerin“. In Mexiko, wo der schwermütige Kaiser Maximilian es angeblich noch am Morgen seiner Hinrichtung hören wollte, dient „La Paloma“ heute als Protestsong bei Demonstrationen gegen Wahlschieber. Im rumänischen Banat spielen es Blaskapellen bei Beerdigungen, in Sansibar ist es ein Hochzeits-Hit. Der hinreißende Film vermischt Legenden und Lebensgeschichten, auf schwarzweiße Szenen aus Hollywood-Klassikern folgen Sonnenuntergänge an karibischen Stränden. Und er ist natürlich voller Musik. Elvis Presley, Freddy Quinn, Rosita Serrano und Carla Bley, alle singen sie „La Paloma“. „Dieses Lied“, sagt ein Hamburger Alleinunterhalter, „fordert auf, die Seele zu öffnen und sich selber zu spüren.“

Im Kino Hackesche Höfe.

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