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FILM ZUR KRISE: "Experten muss man dumme Fragen stellen“

"Let’s Make Money“: Dokumentarist Erwin Wagenhofer über saure Recherche, süße Zufälle und Duzfreunde von Großbankiers.

Herr Wagenhofer, drei Jahre haben Sie an ihrem Film gearbeitet, jetzt hat die Tagesaktualität ihn eingeholt. Triumphieren Sie nun, so unverhofft ins Recht gesetzt?

Eher nicht, so lustig ist das alles ja nicht. Und dass die Krise kommen musste, haben ja alle Experten vorausgesehen. Es wusste nur niemand, wann. Der Film beschäftigt sich ja auch nicht mit der aktuellen Bankenkrise, sondern mit einem Systemfehler, der zur Finanzkrise führt. Der Film kritisiert ein Wirtschaftssystem und ein Geldsystem, das aus dem Ruder gelaufen ist. Wenn Sie einer Hausfrau oder einem Würstelverkäufer versprechen würden, „geben Sie mir 100 Euro und ich komme in einem Jahr wieder vorbei mit 300 und Sie brauchen nichts zu tun, als mir zu vertrauen“, dann würden die sagen: „Das kann ja nicht gut gehen.“ Und es ist nicht gut gegangen, in einem Ausmaß, das wir noch gar nicht kennen. Offensichtlich braucht es im menschlichen Dasein solche Katastrophen, sonst werden die Leute nicht wachgerüttelt.

Bedeutet dieser von Aktualität geprägte Blick für Sie nicht auch eine Gefahr: ein Stück Kontrollverlust zum Beispiel?

Natürlich funktionieren auch Verleih und Filmproduktion wie eine Investmentbank: Ich sitze hier zum Interview jetzt auch nur, weil man daraus momentan gut Geld ziehen kann. Vom Marketing her gibt es zwei Positionen. Die einen sagen, etwas Besseres konnte uns nicht passieren. Die anderen fürchten, dass die Leute vielleicht schon die Schnauze so voll haben, dass keiner mehr hingeht. Ich selber habe nichts gegen Vermarktung – auch wenn man damit gleich in den Verdacht gerät, ein Kommerzmensch zu sein. Anderseits hat schon Godard gesagt: Das Wichtigste im Kino sind nicht die Filme, sondern die Leute, die sich die Filme anschauen. Natürlich hat er recht.

Sie selbst sind kein Wirtschaftsfachmann. Störte das Ihren Zugang zum Sujet?

Ich war bei „We feed the world“ auch kein Ernährungsexperte. Als Nächstes will ich einen Liebesfilm drehen, da habe ich schon direkteren Zugang. Aber das ist genau das Spannende: Experten sind empfindlich, wenn Laien dumme Fragen stellen – doch gerade das habe ich mir zum Prinzip erklärt. Am Anfang stehen Fragen. Filmemachen hat viel mit Fragenstellen zu tun. Und während der Produktion versuche ich dann, Antworten zu finden, für mich und für die Zuschauer. Wenn ich wie ein kleiner Bub auf die Welt schaue, dann kommt vielleicht ein guter Film dabei heraus.

Auberginen und Brot waren ja ein sehr sinnlich anschauliches Thema. Geld ist abstrakt. Welche Probleme verursachte das bei der ästhetischen Umsetzung?

Die Probleme waren enorm. Alle fragten mich, ob ich geistesgestört bin, weil ich das angehe. Aber gerade in der Abstraktheit lag die Herausforderung. Der Geldschein ist ja nicht wie eine Tomate, die ihren Weg geht, sondern schon im nächsten Moment nur noch eine Buchungszeile. Wie kann man dieses abstrakte Thema also so emotional rüberbringen, dass die Leute am Schluss doch eine Wut haben und sagen, da muss man was tun? Man kann die Auswirkungen zeigen oder eben die Personen, die mit dem Geld umgehen. Man kann auch über Inserts Fakten vermitteln. Und dann muss man daraus einen Mix machen, wo das Publikum eine kräftige Portion, aber keine Überdosis Information bekommt.

Wie kamen Sie an Ihre Gesprächspartner?

Das ist das Schwierigste bei einem solchen Film. Während man beim sogenannten fiktionalen Film den Drehplan abarbeiten kann, gilt es hier, eine Gleichung mit vier Unbekannten einzulösen: am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein, die richtige Person vor der Kamera zu haben, die das Richtige sagt, und das auch noch so, dass es ankommt, intellektuell und emotional. Der aufwendigste Missgriff dabei war Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der hat am Drehtag abgesagt. Erst hatte ich ihm an seine Privatadresse einen persönlichen Brief geschrieben, da kam keine Antwort, nichts. Dann haben wir es über Gerhard Schwarz probiert, den Wirtschaftsressortchef der „Neuen Zürcher Zeitung“, der auch im Film vorkommt. Schwarz ist ein Duzfreund von Ackermann, der mit ihm Skifahren geht. Doch im letzten Moment hat die Presseabteilung noch ihren Job gemacht und im Internet nach mir recherchiert, da war es sofort vorbei. Ähnlich war es mit dem Weltbank-Präsidenten Robert Zoellick, der ist uns dreimal durch die Lappen gegangen.

Gab es auch Glücksgriffe?

Die liegen direkt daneben, denn solche Pannen sind nur kurzfristige Rückschläge, aus denen neue Ideen entstehen. So kam ich auf John Perkins zurück, dessen „Confessions of an Economic Hitman“ ich zu Beginn der Recherchen gelesen hatte. Jetzt haben wir von ihm sehr deutliche Aussagen zu höchst brisanten Weltbank-Aktivitäten, wie sie Zoellick nie gemacht hätte. Perkins macht seine Sache so gut, dass mein Filmverleiher in Wien überzeugt war, ich hätte einen Schauspieler engagiert!

Wie schätzen Sie, auch aus Ihrer durch die Filmrecherche gewonnenen Kenntnis, die derzeitige Lage ein? Halten Sie das Finanzsystem für reformierbar, oder kommt es zum totalen Crash?

Seriös kann ich Ihnen das nicht beantworten. Sicher werden wir bluten, es wird zu Rezessionen kommen. Aber es wird sicher auch neue Regulierungen geben, vor allem für die Banken. Wenn jetzt allerdings die Milliarden ins Bankensystem geworfen werden, dann bekommen das wieder die Falschen. Man müsste das Geld den Hausbesitzern geben, damit die ihre Schulden abtragen können. Aber bis die Banken sagen, „Lassen Sie nicht Ihr Geld arbeiten, lassen Sie Ihre Vernunft arbeiten“, das werde ich nicht erleben.

Das Gespräch führte Silvia Hallensleben.

Geld, heißt es in Let’s Make Money, arbeitet nicht. Arbeiten können nur Menschen, Tiere oder Maschinen. Wenn Geld sich vermehrt, bedeutet das in Wahrheit, dass Menschen sich auf Kosten der Arbeit anderer bereichern. Wie das funktioniert, auch mit unserem Geld aus der Rentenkasse, das zeigt die Doku des österreichischen Regisseurs Erwin Wagenhofer, 47

(„We Feed the World“), mit bestürzender Klarheit. Der Film (Tsp. vom 12. 10.) startet am Donnerstag in neun Berliner Kinos.

Caspar Dohmens Buch zum Film (256 S., 20 €) ist bei OrangePress, Freiburg, erschienen.

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