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Filmfestival in Cannes: Nach der Riesenwelle die Skandalflut

Am Mittwoch eröffnet das 63. Filmfestival Cannes. Trotz Unwetter, Aschewolke und politischen Unruhen.

Schwere Unwetter über der Croisette – und kein Ende in Sicht. Letzte Woche hatte der Bürgermeister von Cannes den Katastrophenstatus beantragt, wegen Land Unter am Strand. Alarmstufe Rot, Glamour in Gefahr! Inzwischen ist die Côte d’Azur wettertechnisch zwar wieder halbwegs befriedet, dafür steigt nun die Flut anderer Schreckensnachrichten. Auf die Riesenwelle folgt nicht nur die Aschewolke, von der auch der Flughafen Nizza betroffen ist, die Eröffnung der 63. Filmfestspiele am Mittwochabend ist auch von der Boykottandrohung diverser News- und Fotoagenturen überschattet (wegen der strengen Regularien auf dem roten Teppich) sowie von politischen Unruhen.

Sage noch mal einer, Kino sei Popcorn! Nein, hier jagt eine Staatsaffäre die nächste. Vorläufiger Höhepunkt: Italiens Kulturminister Sandro Bondi hat seine Teilnahme am Defilee für den Dokumentarfilm „Draquila. Wenn Italien zittert“ kurzfristig abgesagt. Weil, so der Minister, der Film eine „Beleidigung für die Wahrheit und das ganze italienische Volk“ darstelle. Bondis Ministerkollegin aus dem Tourismusressort, Michela Vittoria Brambilla, will gar Anwälte einschalten – wegen des Verdachts auf Imageschaden für den italienischen Staat.

Dabei ist das Gegenteil zu vermuten: In „Draquila“ stellt die Satirikerin Sabina Guzzanti in Michael-Moore-Manier der offiziellen Version vom Wiederaufbau der erdbebenzerstörten Abruzzenstadt L’Aquila Interviews mit Überlebenden gegenüber; der Film hat also das Zeug, Italiens von Berlusconi ramponierten Ruf schlagartig zu verbessern. Auch Frankreich streitet sich, über einen mit französischen Geldern finanzierten algerischen Wettbewerbsbeitrag. In Rachid Boucharebs „Hors la loi“ (Jenseits des Gesetzes) geht es um das Massaker im algerischen Sétif vom 8. Mai 1945, bei dem Hunderte von algerischen Demonstranten von der französischen Armee getötet wurden. Das sei antifranzösisch, findet der extrem konservative Politiker Lionnel Luca, Mitglied der Regierungspartei, der den Film zwar nicht gesehen hat, aber dennoch nicht möchte, dass Bouchareb „die Wunden wieder aufreißt“. Nun droht ein dubioses, vermutlich rechtsextremes Komitee „Für die historische Wahrheit – Cannes 2010“ mit Protestaktionen vor Ort.

Wenn der künstlerische Leiter Thierry Frémaux sagt, die Auswahl der 19 Kandidaten für die Goldene Palme sei „besonders störrisch verlaufen“, meint er aber weniger die politischen Querelen – zu der auch die längst über Russland hinausgehende Kritik an Nikita Michalkows patriotischem Monumentalfilm „Die Sonne, die uns täuscht 2“ gehört, dem russischen Wettbewerbsbeitrag. Er spielt eher auf die Tatsache an, dass im Zuge der Krise weniger aufwändige Produktionen im Angebot waren. Zwar sind Mike Leigh , Bertrand Tavernier und nun auch Ken Loach wieder dabei, Woody Allen und Oliver Stone laufen außer Konkurrenz, aber besonders stark ist im Wettbewerb das Kino aus ferneren Regionen vertreten: unter anderem mit Takeshi Kitano (Japan), Abbas Kiarostami (Iran), Alejandro González Inárritu (Mexiko), Wang Xiaoshuai (China) und Apichatpong Weerasethakul aus Thailand. Deutschland geht mit der Koproduktion „Mein Glück“ des Ukrainers Sergei Loznitsa an den Start.

Die Popcorn-Fraktion kommt natürlich trotzdem nicht zu kurz. Zur Eröffnung wird morgen Russel Crowe den Rächer der Enterbten geben, in Ridley Scotts „Robin Hood“. Und Jury-Präsident Tim Burton ist ja auch nicht von Pappe. chp/pak

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