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Filmkritik: Letzte Ausfahrt Manila

Protokollant des urbanen Grauens: Der Philippine Brillante Mendoza und seine erschütternden Filme „Lola“ und „Kinatay“.

Gerade so, wie Apichatpong Weerasethakul vor einigen Jahren seine Heimat Thailand auf die Weltkarte der Cineasten setzte, vertritt der 1960 geborene Brillante Mendoza neuerdings die Filmwelt der Philippinen. Und geradeso leidenschaftlich, wie die sinnsuchenden Abendlandbewohner den einen für seine rätselhaften und zarten buddhistischen Allegorien ins Herz geschlossen haben, wird der andere von vielen gehasst. Brillante Mendoza, so heißt es, macht ein böses, kaltes, so nervtötendes wie gewaltverherrlichendes Kino, ein schnell runtergekurbeltes Anti-Kino in Realzeit und mit der Handkamera, mit Antigeschichten ohne Anfang und ohne glückliches oder auch anderweitiges Ende.

Eine Ahnung von der Ablehnung, die Mendoza entgegenschlug, bot das Filmfest Cannes, das ihn 2008 mit „Serbis“ (Service) für die große Bühne entdeckte, nachdem er für seinen Erstling „Masahista“ (Der Masseur) bereits 2005 in Locarno den Goldenen Leoparden gewonnen hatte. „Serbis“ spielt ausschließlich in einem Kino namens „Family“, in dessen Schummerdunkel Stricher ihre Kunden bedienen. Abgesehen vom Ritornell der müden sexuellen Anbahnungen und den ebenso trägen Bemühungen der Betreiberfamilie um die Rettung des schließungsbedrohten Kinos passiert nicht viel. Gehasst wurde er vor allem wegen des nie endenden Verkehrslärms in der Hauptstadt Manila auf der Tonspur. Dabei war das ohrenbetäubende Gedröhn ein genialer Kunstgriff, mit dem Mendoza so schmerzhaft wie möglich die Unterschiede zwischen Innen und Außen, zwischen Privatheit und öffentlichem Raum schredderte.

Nun kommen mit „Kinatay“ und „Lola“ die beiden letztjährigen Filme des enorm produktiven Regisseurs gleichzeitig ins Kino, und sie sind einmal mehr geeignet, das Publikum zu spalten. Die einen dürften den Werbefilmer und Production Designer, der erst vor fünf Jahre zur Spielfilmregie wechselte, wegen der in einer einzigen Nacht spielenden, furchtbaren Prostituiertenmordgeschichte „Kinatay“ (Schlachten) endgültig abschreiben. Die anderen mögen wegen „Lola“ (Großmutter) eine überraschend sanfte, ja versöhnliche Seite dieses Protokollanten des urbanen Grauens entdecken.

Man kann aber auch zum dem nüchternen Ergebnis kommen, dass da einer nur zwei weitere Male seine unbestechlichen Wahrnehmungssonden in den Moloch Manila hineintreibt, in eine ganz vom kriminell entfesselten Kapitalismus gezeichnete Megalopolis des 21. Jahrhunderts. Zu sehen, wie das auf scheinbar konträre Weise überzeugend gelingt, ist ein aufregendes und anregendes Kinoabenteuer.

Wer das Wagnis sucht, kann mit „Kinatay“ beginnen – der Film ist eine Höllenfahrt, nach der jeder andere erst einmal einem Sommerabendspaziergang gleichzukommen scheint. Dabei beginnt „Kinatay“ nahezu unverfänglich, bunt, fast fröhlich: Der 20-jährige Polizeischüler Peping (Coco Martin) heiratet die Mutter seines kleinen Kindes, umgeben von allerhand familiärem Tohuwabohu. Doch zur nachgetragenen Hochzeitsnacht kommt es nicht. Peping, im Nebenjob Geldeintreiber für eine lokale Bande, wird von seinem Chef zusammen mit ein paar Kollegen zu einem Einsatz der besonderen Art gerufen. Erst im Verlauf der Nacht, die Mendoza in immer stärker sich eindüsternden Bildern zeigt, erfährt er, worum es geht. Eine Prostituierte, die den Gangstern Geld schuldig geblieben ist, wird verschleppt, vergewaltigt, ermordet. Im Morgengrauen fahren die Männer im Bus zurück in die erwachende Stadt und werfen die in Plastiktüten verpackten Leichenteile der Frau nach und nach aus dem Fenster.

Peping wird nicht zum Täter, aber zum schweigenden Mitwisser eines Geschehens, das der Film akustisch extrem explizit und visuell mit großer Zurückhaltung in Szene setzt. „Kinatay“ erzählt, nein: berichtet von einer Initiation, die die Hauptfigur – gerade weil sie anderntags alles für sich behält – für immer mitschuldig macht. Die Restmenschlichkeit Pepings zeigt sich darin, dass er morgens in der Garküche nicht mitscherzt mit den Killern, sondern dass er sich auf der Toilette übergibt und unauffällig den frühestmöglichen Absprung aus der Gruppe sucht.

Mehr ist nicht drin: Peping ist kein amerikanischer Held, der das Böse erfolgreich bannt und seine Zuschauer mit einer wohlfeilen, gegen deren Realitätserfahrung gebürsteten Moral entlässt. Im Gegenteil: Mendozas Moralismus äußert sich viel virulenter, indem er die moralische Zerstörung seiner Hauptfigur in keiner Weise kommentiert.

Wie scheinbar menschlich kommt im Vergleich „Lola“ daher, der von den würdevollen Versuchen zweier Großmütter (Lola heißt Oma auf Philippinisch) erzählt, aus einer schlimmen Ausgangslage das Beste zu machen! Das Verbrechen, der Raubmord an einem jungen Mann bloß wegen seines Handys, hat schon vorher stattgefunden. Aber auch hier geht der Zuschauer mit den Figuren auf eine unwägbare Reise. Am Anfang kauft Lola Sepa (großartig gespielt von der 86-jährigen Anita Linda) eine Kerze, die sie nach allerlei mühseligen Versuchen gegen Wind und Wetter schließlich am Tatort anzündet. Und am Ende steht ein sogenanntes Einvernehmen – und ein Polizeieinsatz.

„Lola“ enthält reichlich Einfühlungspotenzial. Während die alte Frau sich in anrührenden Betteleinsätzen müht, das Geld für ein anständiges Begräbnis ihres ermordeten Enkels zusammenzukratzen, versucht Lola Puring (Rustica Carpio) mit allen Mitteln, ihren wegen dieses Mordes inhaftierten Enkel Mateo vor einer langen Gefängnisstrafe zu bewahren. Auch sie braucht Geld: Wenn sie die Opferfamilie finanziell entschädigt, verzichtet der Staat – in großzügig zivilrechtlicher Würdigung des Kapitalverbrechens – auf weitere Strafverfolgung. Seinen dramaturgischen Reiz bezieht der Film aus den parallel gezeigten Alltagswelten der alten Frauen, die sich erst am Schluss kennenlernen. Und ist nicht diese Begegnung – statt eines gewaltigen Gezeters gibt es ein Geplänkel über Altersgebrechen und die sehr fehlbaren verstorbenen Ehemänner – gerade deshalb besonders herzerwärmend, weil die Altersweisheit alles Böse einzuebnen scheint?

Im Gegenteil. Am Ende des Wortwechsels wird, sehr nüchtern, eben jenes Geld getauscht, das die Wertewelt aller Beteiligten beherrscht. Auch in „Lola“ geht es, wie in „Serbis“, wo die Stricher ihren Liebeslohn beziehen, und wie in „Kinatay“, wo die Prostituierte für die Hinterziehung der verdienten Summen martialisch exekutiert wird, um den Warencharakter der menschlichen Beziehungen. „Lola“ ist wie „Kinatay“: schmerzhaft, weil konkret, zäh, weil nahezu in Realzeit in langen Plansequenzen gefilmt, ohne Moral und deshalb nach Auffüllung durch Moral geradezu schreiend.

Glück ist in Brillante Mendozas Filmen – und das macht sie so unerträglich wie grandios – um keinen Preis zu haben. Am allerwenigsten dort, wo es für Augenblicke aufzuschimmern scheint.

Ab Donnerstag im Kino: „Kinatay“ im Eiszeit, Lichtblick, „Lola“ im fsk Oranienplatz, Brotfabrik, Lichtblick. Beide OmU.

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