zum Hauptinhalt
Bigelow

© dpa

Filmpreis: Oscar-Verleihung: Amerikanisches Roulette

Mit Kathryn Bigelow gewinnt erstmals eine Regisseurin: Der Irakfilm "Hurt Locker" toppt "Avatar". Die 82. Oscars schreiben Geschichte und feiern die Harmonie.

Dass es „Avatar“ an den Kragen gehen könnte in dieser Oscar-Nacht, zeichnete sich bei scharfem Hinsehen schon früh ab. Der Goliath unter den zehn Top-Kandidaten inspirierte das anwesende Jubelpersonal zwar heftig, doch überwiegend zu Witzen. Bereits zum Start setzten die Gastgeber Steve Martin und Alec Baldwin bescheuerte weiße 3D-Pappbrillen auf, um Regisseur James Cameron im Saal auszumachen; und als ein paar „Avatar“-Liebesquallen sich auf dem Moderatorenduo niederzulassen drohten, zückte Steve Martin bloß ein Döschen und sprayte sie cool ins Na’vi-Nirvana. Ganz schlimm dann erwischte es „Avatar“, als Ben Stiller das beste Make-Up ankündigte: Ganz in Blau mit einer Andockquaste gab er den Blockbuster des Jahrzehnts vollends dem Gespött preis.

Es ist also ganz anders gekommen, und das ist sehr okay so. Kathryn Bigelow hat, indem sie das Duell der beiden Neunmalnominierten beeindruckend für sich entschied und als erste Frau in 82 Oscar-Jahren die Preise für Regie und den besten Film holte, Geschichte geschrieben. Erst drei Regisseurinnen – Lina Wertmüller (1975), Jane Campion (1993) und Sofia Coppola (2003) – hatten überhaupt mit dem Segen der 6000-Köpfe-Academy Anlauf zu höchsten Ehren nehmen dürfen, da war das große Gold längst ewig überfällig. Am Vorabend des Internationalen Frauentags bedeutete dies nicht nur ein freundliches Quotengeschenk der MajorMachos, sondern ausgleichende Gerechtigkeit am Beispiel eines ausgezeichneten Films. Und die Millionen von „Avatar“Fans können das angesichts des noch immer höchst vitalen Welterfolgs ihres Favoriten locker verschmerzen.

Dabei ist der Siegeszug dieser Nacht doppelt erstaunlich, für die Regisseurin wie für ihren Film „The Hurt Locker“, der packend aus dem Alltag eines Bombenräumkommandos im Irak erzählt. Mit schlichten acht Filmen in 30 Jahren hat die heute 58-Jährige eine abenteuerlich windungsreiche Karriere hinter sich. Nach dem Biker-Drama „The Loveless“ und dem Vampirinnen-Western („Near Dark“) feierte sie ihren Durchbruch mit dem Noir-Thriller „Blue Steel“ und landete prompt zwei Hits in den Neunzigern. In dem atemlosen Actionfilm „Point Break“, ihrem größten Erfolg, gerät ein Agent in eine abgedrehte Surferclique, die auf Banküberfälle steht, und in ihrem Science-Fiction-Thriller „Strange Days“ wird ein Politskandal eine Nummer zu groß für einen kleinen, unfeinen Cyberdiskettendealer.

Immer gelang es Bigelow, für ihre imponierenden Extremexperimente an den Genre-Grenzen entsprechendes Top-Personal zu verpflichten, von Keanu Reeves bis Ralph Fiennes. Harrison Ford aber als russischer U-Boot-Kommandant, der mit einem Reaktorleck zu kämpfen hat, brachte ihr das größte Pech: Die 100-Millionen-Dollar-Produktion „K 19“ wurde 2002 ein gigantischer Flop. Der „letzte Kerl von Hollywood“, wie die „SZ“ Bigelow liebevoll rühmt, schien am Ende – und auch die unermüdlich variierte Geschichte ihrer „Adrenalin-Junkies“ („Der Spiegel“) auserzählt. Das Verrückte: Auch Bigelows Comeback-Versuch mit „The Hurt Locker“ floppte weltweit. In den USA spielte er mit Ach und Krach seine schmalen Produktionskosten ein, in Deutschland war im vergangenen Sommer nach der ersten Kinowoche praktisch Schluss. Aus. Endstation.

Dafür, dass die am liebsten den Kassenerfolg verwöhnende Oscar-Academy plötzlich so anders tickte und David Bigelow gegen Goliath Cameron triumphieren ließ, gibt es allerhand Gründe. Zunächst wurde der Film seit seiner Uraufführung in Venedig 2008, wo er leer ausging, unermüdlich von Kritikern und Regisseuren gelobt und mit Preisen überschüttet – bis schließlich die britische Bafta-Gala Mitte Februar den Weg fürs Oscar-Finale ebnete. Hinzu kommt, dass Kathryn Bigelow konsequent ihre Kollegen damit beeindruckt, wie man soeben verbrauchten Genres neuen Glanz verleihen kann.

Als ganz Hollywood seine Irakkriegsdramen abgedreht hatte, schaute Bigelow noch einmal genau hin. Sie fand bleibende Bilder für die Beobachtungen des „embedded journalist“ Mark Boal (er gewann seinen Drehbuch-Oscar). Und sie fügte ihren eigenen leidenschaftlichen, unrhetorischen, aufs Konkrete gerichteten Blick für die nervenzerfetzende und persönlichkeitszersetzende Normalität des Kriegs hinzu.

Darüber hinaus dürfte ein tieferes Harmoniebedürfnis die Academy geleitet haben. So wie das cineastische ObamaAmerika endlich nicht mehr gegen die Kriegsschreierei aus Bush-Zeiten Sturm laufen muss, so will es, wofür auch Bigelows Dankesworte sprechen, die eigene Armee, die in Irak und Afghanistan unmögliche Missionen abwickelt, nicht länger verunglimpft sehen. Vielleicht stand der eiserne Ober-Marine in „Avatar“, der im Auftrag eines Energieunternehmens den friedlichen Planeten Pandora abfackeln will, für eine zu garstige Karikatur des amerikanischen Selbstbilds. Besser zur Identifizierung taugen da jene Männer, die – zwar eindeutig kriegskicksüchtig – Leben retten, statt es zu zerstören. Motto: Wer Terrorbomben entschärft, macht kleinstmögliche Massenvernichtungswaffen unschädlich. Und wenn dabei der Verwegenste im Trupp niemals hochgeht, umso besser.

Also Amerikanisches Roulette. Win-win für alle. Und Harmonie. Zum Beispiel mit Jeff Bridges: Nach fünf Nominierungen bekam er endlich seinen ersten Oscar, und er feierte ihn großherzig wie ein Weiser, kieksend wie ein Kind, teilte ihn mit der ganzen Welt. Und alles wird gut, eine Oscar-Nacht lang.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false