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Lektionen

© Farbfilm

"Hamburger Lektionen": Die Musterschüler

Manfred Zapatka liest Mohammed Fazaz Imam: Romuald Karmakars "Hamburger Lektionen" ist die dokumentarische Rekonstruktion einer Hasspredigt.

Wenn der Prediger Gott sagt, fügt er jedes Mal ein „Gepriesen sei er!“ hinzu. Ebenso unentwegt wird der Prophet mit dem Zusatz „Gott segne ihn und schenke ihm Heil“ versehen. Ein frommer Disput in der Moschee, ein gottesfürchtiges Ritual, nichts Besonders, nichts Besorgniserregendes.

Bis der Prediger – er heißt Mohammed Fazazi Imam, stammt aus Marokko und hält in der Hamburger Al-Quds-Moschee zwei Vorlesungen, bei denen er Fragen zur Einhaltung von Koran-Gesetzen im Alltag der westlichen Welt beantwortet –, bis Fazazi auf die Ungläubigen zu sprechen kommt. Nach ungefähr 80 Minuten. Darauf, dass Diebstahl zwar verboten ist, dass aber die eherne Regel der Unantastbarkeit von Schutzbefohlenen, Gesandten und anderen Vertragspartnern im Heiligen Krieg aufgehoben ist. Für einen Moslem ziemt es sich nicht, eine Zahnbürste im Supermarkt zu stehlen, aber die Millionen in der Bank, die sind antastbar, sagt der Prediger. Wenn es denn sein muss, betont er. Wenn es denn sein muss, im Dschihad.

Fazazi zählt sie alle auf, die Feinde des Islam: Deutschland, Frankreich, Amerika, Spanien, Italien, Portugal, Japan, China, Kanada. So spricht der Prediger im Januar 2000, im Gebetsraum am Hamburger Steindamm. In der Moschee gehen auch drei junge Männer ein und aus und halten engen Kontakt zu Fazazi, die später berühmt werden sollen: Mohammed Atta, Marwan Al Shehhi und Ziad Samir al Jarra. Am 11. September 2001 werden sie die Attentatsflugzeuge in New York und Washington lenken. Mohammed Atta ist einer von Fazazis Musterschülern.

Romuald Karmakar hat das schon einmal gemacht: einen Wortlaut penibel rekonstruiert und Manfred Zapatka rezitieren lassen. Wie in „Das Himmler-Projekt“ (2000) sitzt der Schauspieler auch in den „Hamburger Lektionen“ im Studio, schwarzes Sakko, dunkles Hemd, das Licht fällt von links auf sein Gesicht, neutraler Hintergrund, ein Hocker aus Holz, zwei weitere daneben, drei, vier Kameraeinstellungen: Totale, Nahaufnahme, Profil von rechts, Halbtotale. 133 Minuten lang gibt Zapatka in klarer, ruhiger Diktion den präzise übersetzten Wortlaut von Fazazi wieder (Karmakars Quelle sind Videos, auf denen die Lektionen kursierten). Die Fragen liest er von kleineren Zetteln ab, mit gelegentlichem Seitenblick in die Kamera erläutert er theologische Fachbegriffe, Untertitel geben Hinweise auf die Atmosphäre im Saal (Unruhe, Gelächter). Eine dokumentarische Installation, ein Selbstversuch. Wie ist es, so jemandem zuzuhören?

Annäherung an einen geistigen Brandstifter. Im „Himmler-Projekt“ hatte Zapatka dreieinhalb Stunden lang Heinrich Himmlers Posener Geheimrede von 1943 wiedergegeben, in der Himmler vor SS-Gruppenführern die Arbeitsmoral beschwört (nichts Besonderes in Krisenzeiten, nichts Besorgniserregendes) und den Holocaust legitimiert. Mit den „Hamburger Lektionen“ verhält es sich ähnlich, und trotz aller Abnutzungsgefahr der fast identischen, minimalistisch-strengen Inszenierung ist es ein unbedingt lohnendes Experiment. Weil es eine unerhörte Nähe ermöglicht, die doch der Identitätsfalle entgeht, der versuchsweisen komplizenhaften Identifikation mit den Tätern.

Zweimal sieht man die Moschee von außen: eine gewöhnliche Häuserzeile in der Nacht, Straßenverkehr, ein Schnellimbiss. Aber wer weiß schon (außer vielleicht dem Verfassungsschutz), wie es im Inneren zugeht? Hassprediger werden in den Medien verteufelt, aber welche Sprache sprechen sie eigentlich? Fazazi eifert nicht mit Schaum vor dem Mund, seine Rede hetzt nicht. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Er sagt, die Brüder in Tschetschenien brauchen keine Demonstrationen, sie brauchen Blut, Geld und Gebete. Ungläubigen muss man die Hälse durchschneiden. So ist das im Krieg, das ist hart, das gebietet die Religion. Ein Satz unter hunderten.

Nicht die Dämonie, auch nicht die Banalität des Bösen kehrt Karmakar hervor, sondern dessen innere Logik. Spätestens seit seinem Spielfilm-Debüt „Der Totmacher“ ist der 42-jährige, in Berlin lebende Regisseur ein Meister-Installateur des Wortlauts. Immer wieder lädt Karmakar den Zuschauer in ein Gedankengebäude ein, das uns gewöhnlich verschlossen bleibt und sich doch unmittelbar in der Nachbarschaft befindet. Karmakar öffnet die Tür und bietet Zugang, mehr nicht. Er nimmt den Zuschauer nicht an der Hand, verweigert einordnende Kommentare und pädagogisch-distanzierende Maßnahmen. So mutet er dem Publikum zu, sich selbst einen Reim zu machen und scheinbar längst Begriffenes infrage zu stellen. Er mutet ihm den Schreck der Erkenntnis zu, das Erschrecken auch vor sich selbst. Das Fremde, andere, Monströse, es ist untrennbar verquickt mit Vertrautem, Gewöhnlichem, mit Harmlosigkeiten.

Die Religion der Ungläubigen, sagt Fazazi, ist die Demokratie, und der Gott der Demokratie ist das Volk. Wer wollte dem widersprechen. Wenn Fazazi dann aber von den Menschenrechten und der Demokratie als einer aufgezwungenen Fremdherrschaft spricht und davon, dass alles, was an Feindseligkeit gegen den Islam ausgeübt wird, von eben jenem Volk ausgeht, ahnt man: Da rechtfertigt einer den Tod unschuldiger Zivilisten. Der Westen hat dem Islam die Rohstoffe, die Arbeiter und Fachkräfte gestohlen und hält die Migranten wie Sklaven. Wir holen es uns nur zurück, sagt Fazazi auch noch. Kurz zuvor war es ganz arglos darum gegangen, wann genau der Fastenmonat Ramadan beginnt, ob ein Moslem einer nichtmoslemischen Frau die Hand geben darf, ob er einen Kneipenjob annehmen kann, bei dem er Alkohol ausschenkt, und ob Gott – gepriesen sei er! – mit seiner Vorsehung wirklich alles weiß.

Mohammed Fazazi wurde vom BKA nie verhört. Er kehrt im Oktober 2001 nach Marokko zurück und wird im Juni 2003 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Auch die Selbstmordattentäter von Casablanca soll er inspiriert haben, 2004 wird er mit den Anschlägen von Madrid in Verbindung gebracht. Karmakar wird 2005 durch einen Zeitungsartikel auf die Fazazi-Videos aufmerksam, uraufgeführt werden die „Hamburger Lektionen“ bei der Berlinale 2006. Seitdem sind eineinhalb Jahre vergangen, mit Festival-Programmierungen und dem 3-Sat-Dokumentarpreis; erst jetzt, sehr spät, kommt der Film in die Kinos.

„Das Himmler-Projekt“ fand nie einen Kinoverleih, auch das Fernsehen scheute sich lange, den Film zu zeigen – weil Neonazis ihn in ihrem Sinne missverstehen könnten. Nach der Ausstrahlung erhielt er dann aber den Grimme-Spezialpreis. Karmakars Annäherung an den Islamisten Fazazi soll am 24. Januar 2008 bei Arte ausgestrahlt werden, immerhin zur Primetime. Dass es wieder so lange gedauert hat, liegt vielleicht am Unbehagen. Daran, dass die „Hamburger Lektionen“ den gemütlichen Konsens der Bescheidwisser aufkündigen, die den Hass der Hassprediger ohnehin zu kennen glauben und es lieber nicht so genau wissen wollen.

Ab heute in Berlin in den Kinos Babylon Mitte, Central und Eiszeit.

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