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© dpa

Irak-Film aus Deutschland: Waffenstillstand: Mit Vollgas in die Falle

Ambitioniert, anspruchsvoll, schon jetzt preisgekrönt - aber auf einem Auge blind: In Lancelot von Nasos Debütspielfilm „Waffenstillstand“ geht es weniger um den Irak als um die Gewissensnöte der Europäer.

Waffenstillstand. Eine Nacht, in der das Feuer schweigen soll rund um die irakische Stadt Falludscha, die im Jahr 2004 Zentrum der Auseinandersetzung zwischen amerikanischen Truppen und sunnitischen Aufständischen ist. Vier Amerikaner, die einen Hilfskonvoi begleiteten, waren kurz vorher gelyncht worden, als Rache für amerikanische Luftangriffe. Nun wird kräftig zurückgeschossen.

Auch in dieser Nacht. Von einem Waffenstillstand hat man in Bagdad, 60 Kilometer entfernt, noch nichts gehört, als Kim, die Leiterin einer Hilfsorganisation, einen Passierschein nach Falludscha beantragt. Sie will Medikamente und Verbandszeug in die belagerte Stadt bringen. „Waffenstillstand“, kommentiert der US-Kommandeur vor Falludscha mit einem zynischen Lächeln, als trotz Feuerpause der Horizont widerhallt vor Schüssen. „Waffenstillstand“, heißt es in Falludscha, als der deutsche Journalist Oliver bei einem Angriff von Heckenschützen eine Kugel ins Bein bekommt. „Waffenstillstand“, als das Krankenhaus von Falludscha bei einem amerikanischen Luftangriff getroffen wird. „Waffenstillstand“ – am Ende sind zwei Ärzte tot, einer verletzt, ist auch ein Journalist erschossen, und ein Bus voller verletzter Frauen und Kinder fährt nach Bagdad zurück.

Man muss sich den 1976 geborenen Regisseur Lancelot von Naso, der mit „Waffenstillstand“ sein (schon jetzt mehrfach preisgekröntes und massiv beworbenes) Filmdebüt präsentiert, in etwa vorstellen wie seine Hauptfigur, den Fernsehjournalisten Oliver, gespielt von Max von Pufendorf. Auch der hat es satt, aus dem Hotel in Bagdad heraus die tägliche Dreißig-Sekunden-Nachricht über eine explodierte Autobombe zu drehen. Er träumt von der großen Geschichte, die Licht fallen lässt auf all jene, die in der Kriegsberichterstattung aus dem Irak nie vorkommen. Und der beim Versuch, der Erste zu sein bei der Jagd auf das noch ungesehene Bild, doch in der Falle landet – in der realen Falle des umkämpften Falludscha ebenso wie in der Wahrnehmungsfalle, die für den der Landessprache Unkundigen doch immer nur die gleichen Bilder empörter Iraker bereithält.

„Im Fernsehen sieht man immer nur die Toten. Ich möchte die Überlebenden zeigen“, hat Lancelot von Naso gesagt und hat sich für seinen Debütfilm ein höchst anspruchsvolles Thema gewählt. Er hatte in der Zeitung einen Artikel über eine junge Helferin im Irak gelesen, die auf eigene Faust einen Medikamententransport organisierte, und war beeindruckt von so viel Idealismus. Auch seine Protagonistin Kim (Thekla Reuten) ist eine Idealistin, die ihr Aufbauwerk in Falludscha retten will. Und riskiert doch nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das der Journalisten, die sie auf ihrem ungesicherten Transport mitnimmt, als Schutz und Druckmittel gleichermaßen. Sie haben alle ihr Ziel, diese Idealisten, die sich zu einem Himmelfahrtskommando zusammenfinden.

Schade nur, dass die Figuren im Stereotyp stecken bleiben: Der desillusionierte Arzt Alain (Mathias Habich), der sich in Morphiumkonsum flüchtet und am Ende opfert. Der sensationsgierige Journalist, immer auf der Jagd nach der Exklusivgeschichte. Sogar eine Liebesbeziehung zwischen Kim und Oliver wird suggeriert. Das sind die Mittel der Fernsehdramaturgie. Sie strafen den unbestreitbaren Idealismus von Regisseur Lancelot von Naso und Produzent Dario Suter, der seine Diplomarbeit über Kriegsberichterstattung während der Golfkriege schrieb, Lügen.

Blauäugig sind sie alle, und naiv. Kennen weder Land noch Leute, verstehen kaum die Sprache, vermuten überall Hinterhalt und Verrat. Die Iraker, selbst der Fahrer, der sie durch das Land bringt (Husam Chadat, ein Reporter von Al Dschazeera, der das Team während der Dreharbeiten beriet), kommen nur als Randfiguren vor, bleiben fremd, unverständlich oder sind gleich fanatisierte Turbanträger. Die Amerikaner schließlich sind eindeutig die Bösen, wenn sie erst Frauen und Kinder bombardieren und dann einen Hilfskonvoi blockieren.

Man hat Kathryn Bigelow, die mit ihrem Irakkriegsfilm „Hurt Locker“ gerade triumphal bei den Oscars gewann, man hat auch US-Filme wie „Im Tal von Elah“, „Von Löwen und Lämmern“, „Redacted“ oder zuletzt „Green Zone“ ihre binnenamerikanische Perspektive vorgeworfen, ihren Versuch der Aufarbeitung eines verlorenen Kriegs. „Waffenstillstand“ ist, auf dem anderen Auge, genauso blind, und wähnt sich auf der richtigen Seite. Über den Irak, über das Leben dort erfährt man nichts in diesem in Marokko gedrehten Film, der doch einzig und allein von den Gewissensnöten der Europäer handelt.

In den Berliner Kinos: Cinemaxx Potsdamer Platz, Kulturbrauerei, Kurbel.

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